Wie fühlen Sie sich? (Das Interview wurde zur Mittagszeit eines der heißesten Tage des Sommers in Palma geführt).

Ich fühle mich wohl hier. Ich verbringe einen absolut wundervollen Urlaub. Tokio ist schwül und heiß im Vergleich.

Tokio muss ja furchtbar sein. Sie sind viel unterwegs.

Vor zwei Wochen gab ich in Rotterdam eine Performance gemeinsam mit meinem Partner, einem Jazztrompeter. Es war die Abschlussveranstaltung des 40. Internationalen Poesiefestivals. Man wollte mich in der Jury haben, aber ich hasse das. Und ich verstehe die Sprache nicht.

Mallorca ist weit weg von Japan. Warum verbringen Sie hier Ihren Sommerurlaub?

Meine Tochter arbeitet in London als Künstlerin, und Freunde schlugen uns vor, die Insel kennenzulernen. Wir kommen seit mehr als zehn Jahren hierher, mieten immer dasselbe Haus in Colònia de Sant Jordi. Es ist wundervoll: kein Krieg, keine Kämpfe.

Auch in Japan gibt es keinen Krieg.

Mit Krieg meine ich etwas anderes. In Japan bedeutet das Leben sogar für Kinder harte Arbeit in der Schule und strenge Disziplin, abends früh ins Bett, und so weiter. Wenn ich hingegen hier sehe, wie sich Familien mit Kindern, Eltern, Großeltern und Verwandten am Abend zu einem Essen treffen, und wie die Kleinen bis Mitternacht auf den Straßen spielen, werde ich wehmütig und nostalgisch. So war es in Japan vor 50 Jahren. Mallorca ist ein Kinderparadies.

Sie selbst haben in Ihrem Leben keinen Kampf gescheut.

Ich war die erste Frau in Japan, die über Sex geschrieben hat. Bis dahin war es ein Tabu, ein Vorrecht der Männer. Ich war auch die erste Frau, die laut Gedichte vorgetragen hat. Das war bis dahin undenkbar: Poesie musste im Stillen gelesen werden, und niemals in der Öffentlichkeit. Gegen all diese Dogmen hatte ich zu kämpfen. Dafür wurde ich angegriffen, sogar von Poeten.

Auch mit Ihren Poesie-Performances mit Musik waren Sie eine Pionierin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg öffnete sich Japan für die Kultur anderer Länder. Ich liebte Billie Holiday und fühlte, dass ich Poesie gemeinsam mit Jazzmusik rezitieren wollte. Ihre Lieder und auch ihr Lebensstil berührten mich zutiefst. Jazz hat mich als Dichterin sehr inspiriert. Daher empfand ich es als natürlich, Poesie in Begleitung eines Jazzmusikers oder auch mit zeitgenössischem Tanz vorzutragen.

Gab es noch andere ungewöhnliche Poesie-Lesungen?

Ja, vor langer Zeit organisierte man ,poetische Boxkämpfe´. Zwei Dichter betraten die Bühne, und der eine sagte etwas, der andere musste darauf antworten, und sobald einer keine gute Antwort geben konnte, war er k.o. Aber das gibt es heute nicht mehr.

Haben Sie deutsche Literaten kennengelernt?

Günter Grass traf ich bei einem Poesiefestival in Mexiko. Er schlug vor, zu meinem Vortrag auf dem Waschbrett zu spielen. Zwischen uns entstand eine spezielle Beziehung, ich mochte seine klare, offene Art. Aber so charmant er war, so giftig konnte er bei Gelegenheit sein. Und seine Tendenz, immer alles zu politisieren, hat mich ebenfalls etwas auf Distanz gehalten.

Brauchen Sie zum Schreiben ein spezielles Papier?

Ich schreibe auf allem, was mir in die Finger kommt. Aber Lesungen halte ich nur mit Rollen aus handgeschöpftem Papier. Bei meinen ersten Auftritten sind mir die kleinen Zettel immer runtergefallen. Diese Papierrollen haben zudem eine ästhetische Qualität. Ich erinnere mich an einen Poesievortrag vor Schülern auf einem Hügel. Der Wind blies und das entrollte Papier flatterte im Wind wie ein Drachen.

Brauchen Sie zum Schreiben Stille?

Stille ist wichtig. Aber manchmal, wenn ich nicht weiterkomme, gehe ich in ein Jazzcafé. Es darf keine melodische, sanfte Musik sein, sondern sie muss dissonant und laut sein, also sehr zeitgenössisch. Das hilft mir. Als ich eine junge Mutter war, arbeitete ich in Tokio als Texterin für eine Werbeagentur, und der einzige Ort, an dem ich schreiben konnte, war der Zug zur Arbeit. Dieser Zug machte einen unglaublichen Krach, man verstand sein eigenes Wort nicht – unter den damaligen Umständen war das mein ideales Arbeitsumfeld.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem:

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