Als die Produzenten (u.a. das ZDF) Niels Arden Oplev vorschlugen, den ersten „Mille­nnium“-Roman zu verfilmen, war das Buch noch kein Weltbestseller und Stieg Larsson noch kein weltberühmter Autor. Aus verschiedenen Gründen lehnte Oplev ab, ohne auch nur das Buch gelesen zu haben. Im Unterschied zu Larsson war der 48-jährige Regisseur kein unbeschriebenes Blatt. Für seinen Spielfilm „We shall overcome“ hatte er den Kinderfilmpreis der Berlinale 2006 erhalten, und sein Teenager-Drama „Worlds Apart“ wurde von Dänemark 2008 ins Oscar-Rennen geschickt. In Deutschland fiel der Däne mit Krimiproduktionen wie „Der Adler“ (ZDF) auf.

Die Produzenten aber blieben hartnäckig, und schließlich schlug Oplev den Larsson-Roman endlich auf - und war begeistert. Heute ist „Männer, die Frauen hassen“ (so der schwedische Originaltitel), bzw. „Das Mädchen mit dem Drachentattoo“ (so der englische Titel), bzw. „Verblendung“, wie Buch und Film in Deutschland heißen (Premiere ist im Oktober), einer der erfolgreichsten schwedischen Filme aller Zeiten. In Oplevs Heimat Dänemark sind Menschen, die den Film noch nicht gesehen haben, beinahe eine Minderheit. In Spanien hat der ­Ticketverkauf für „Los hombres que no amaban las mujeres“ bzw. „Millenium I“ die Millionenmarke überschritten. Oplev: „Nicht übel für einen schwedischen Film ...“ Die MZ traf Niels Arden Oplev im CCA Andratx, wo der Regisseur zu entspannen versuchte, obwohl er über einen komplizierten Regievertrag aus den USA verhandelte.

Sind alle Verträge so detailliert?

In den USA schon, in Europa hat man mehr Spielraum. Die Amerikaner wollen auf Nummer sicher gehen, weil ich mit den Produzenten von ‚Verblendung‘ so viele Sonderrechte ausgehandelt habe: absolute künstlerische Kontrolle, auch über das Casting und den Final Cut. Und ich habe Budget und Drehzeit überzogen.

Das ist nicht so selten in der Branche.

Es war absehbar. Das erste Drehbuch sah einen ‚normalen‘ 90-Minuten-Thriller vor. Praktisch alles, was mir am Buch gefallen hatte, war dort wegpoliert worden. Ich finde an Larssons Geschichte gerade die Details so spannend und auch für das Medium Film attraktiv. Zum Beispiel, wenn der Privatermittler Blomkvist wochenlang ein Foto anstarrt und sich ganz allmählich ein Rätsel, eine Ungereimtheit abzeichnet. Meine erste Bedingung lautete also: Das Drehbuch in den Müll, und ich will einen skandinavischen Autoren, einen, der die Melancholie der düsteren schwedischen Wälder versteht. Wir hatten fünfeinhalb Monate, um ein neues zu schreiben und alle Vorarbeiten zu leisten. Danach hatte ich 60 Tage Drehzeit. Nur mit Jesus Christus als Regieassistent hätte ich das zeitgerecht geschafft. Am Ende wurden es 85 Tage.

Und es lohnte sich?

Ein Beispiel: Als wir endlich die Schlüsselsequenz mit dem alten Foto im Kasten hatten, kriegte ich eine Gänsehaut. Wir hatten dafür einen enormen Aufwand betrieben, und eine Straßenszene aus den 60er Jahren rekonstruiert, auf der ein Umzug mit Publikum zu sehen ist. Es hat sich gelohnt. Das ursprüngliche Projekt war einfach zu klein für diese Geschichte.

Starke Frauen scheinen Ihr Thema zu sein.

Larsson hat mit Lisbeth Salander eine ungewöhnliche Figur geschaffen. Eigentlich ist sie die wahre Hauptfigur der Trilogie, ein Mädchen, dass Misshandlungen erlitten hat, sich aber weigert, die Opferrolle zu übernehmen. Kindheit, Jugend, Gewalt und Ungerechtigkeit sind Themen, die mich interessieren, auch aufgrund meiner Lebensgeschichte. Und was Salander so interessant macht: Sie ist eine Art tickende Bombe, unberechenbar.

Pflichtfrage an einen dänischen Regisseur: Ihr Bezug zur Dogma-Bewegung?

Zwei Jahre vor Dogma habe ich ‚Portland‘ gedreht. Der Film nimmt einige Elemente vorweg, zum Beispiel das Filmen mit der Handkamera. Aber seither sagt mir Dogma nichts mehr. Meine filmische Inspiration für ‚Verblendung‘ waren ‚Nikita‘ von Luc Besson, ‚Das Schweigen der Lämmer‘ und ‚Zodiac‘. Wobei ich ja eigentlich kein Thriller-Regisseur bin, mich interessieren Drama und Charaktere. Und meine wichtigste Inspiration ist die Realität. Übrigens hat sich auch Larsson stark aus der Realität bedient. Blomkvist ist klarerweise sein Alter Ego, und offenbar gab es in seinem Umfeld auch eine Salander-Vorlage. Wer das konkret war, darüber wird spekuliert.

Warum haben Sie bei den folgenden ‚Millennium‘-Filmen nicht mehr Regie geführt?

Ich wollte meiner Familie nicht zumuten, zwei Jahre in Schweden zu leben, und ich erkannte, dass ich die Arbeit am ersten ‚Millennium‘-Film nicht ordentlich zu Ende hätte führen können, wenn ich mich auch noch um die Vorbereitung der beiden anderen Drehs hätte kümmern müssen. Diese Filme waren übrigens nur fürs Fernsehen ausgelegt, jetzt schneidet man nachträglich eine Kinofassung. Der Erfolg hat alle überrumpelt.

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