Ein Künstler hat die siurells, die nach antiken Vorbildern gestalteten Tonfiguren, als Wahrzeichen der Insel populär gemacht: Joan Miró. Eine Künstlerin nimmt den Faden wieder auf: Lin Utzon. Am Samstag (19.9.) eröffnet die international erfolgreiche Designerin, Malerin und Bildhauerin im CCA Andratx eine Ausstellung ihrer eigenen siurells, die absolut siurell sind, und doch anders.

Sie ist die Tochter des weltberühmten Architekten Jorn Utzon, der die Oper in Sydney schuf, seinen Lebensabend auf Mallorca verbrachte und 2008 in seiner Heimat Dänemark starb. Das hat ihre Karriere als Künstlerin geprägt, ihr neuestes Projekt, eigentlich alles, was sie betrifft. Die Familie Utzon ist Lebensstil und Denkweise.

Jorn Utzon gestaltete auch jenes Haus in einem Kiefernwald auf einem Hügel bei Portocolom, in dem sich seine Tochter anschickt, mit dem traditionellen siurell einen neuen Weg einzuschlagen. Lin Utzon bekennt: „Ich kann hier freier denken", und bezieht sich dabei sowohl auf die Insel, als auch auf ein Haus, das mit der Landschaft kommuniziert.

Hier hat Lin Utzon die weiße Tonfigur mit den strikt definierten Farbmustern als künstlerische Sprache entdeckt. Gemeinsam mit Pere Coll, der schon für Miquel Barceló töpferte, erarbeitete sie eine neue, größere, freiere Version, eine Art open-source-siurell.

„Zunächst sieht man nur die Einschränkungen", erzählt Utzon in ihrem weiträumigen Atelier, das hinter dem Wohnhaus angelegt ist. „Man steht wie vor einem verschlossenen Tor und muss den Schlüssel finden. Aber wenn man ihn hat, verwandeln sich die zuvor limitierenden Parameter in ein Alphabet, mit dem sich unendlich viel ausdrücken lässt."

Die Idee entstand, als die Fundación Miró Lin Utzon einlud, eine Ausstellung zu bestreiten. Die Dänin sah die Gelegenheit, sich mit einem einzigen Schritt sowohl Miró als auch Mallorca zu nähern: Das siurell steht für beide, und wie Miró seinerzeit verfügte Utzon über eine eigene Sammlung, Ausdruck einer seit langem lodernden Begeisterung für die Insel. „Ich war 21, als ich mit der Familie erstmals nach Mallorca kam. Wir verbrachten lange Sommer hier, stets am Meer, im Wasser. Das Licht, die Natur, die Landschaft haben mich immer fasziniert, versetzen mich beinahe in eine Art Trance. Mallorca ist für mich nicht Teil eines Landes oder eines Kontinents, sondern eine Welt für sich."

Inspiriert von ihrer Sammlung begann sie, siurell-Skulpturen zu entwerfen. Doch ein Direktorenwechsel brachte das Projekt zu Fall. Wiederbelebt wurde es bei einem Besuch des ebenfalls aus Dänemark stammenden Ehepaars Asbæk,, Galeristen und Besitzer des CCA Andratx. „Sie sahen sich in meinem Atelier um, entdeckten die seinerzeit angefertigten Entwürfe und sagten: Das ist es!"

Angetrieben hat sie die pure Freude an der Arbeit mit dem neuen Alphabet. Die 63-Jährige meint aber, dass sie als quasi „erwünschte Nebenwirkung" mit diesem Projekt einem in der Tradition erstarrten Kunsthandwerk neues Leben einhaucht.

Kunsthandwerk ist ein wichtiges, ja beherrschendes Thema im Leben dieser Künstlerin. Als junge Frau besuchte Lin Utzon die Kunstschule in Sydney, wo ihr Vater mit dem Projekt des Opernhauses beschäftigt war. Nachdem die Familie buchstäblich über Nacht abgereist war (zwischen dem Bauträger und ihrem Vater war es zu gravierenden Meinungsverschiedenheiten gekommen), versuchte sich Lin Utzon in mehreren Studienrichtungen und lernte unter anderem Kostümbildnerin und Textil­designerin.

Als prägend erlebte sie einen Aufent­halt in Japan. Lin Utzon fand überraschende Parallelen zwischen ihrer eigenen Kultur und der japanischen Wertschätzung für exquisites Kunsthandwerk, sogar zwischen den jeweiligen Auffassungen von Ästhetik. Zu Beginn ihrer Karriere widmete sie sich vor allem den angewandten Künsten und machte sich speziell mit ­Gestaltungsprojekten in der Innenarchitektur einen Namen.

Zum Kunsthandwerk pflegt sie jedoch weiter eine starke Beziehung und sieht diesen Teil unserer Kultur im Niedergang begriffen. „Es geht so viel heute verloren: Produktionen werden in Billiglohnländer verlagert, Fertigkeiten nicht weitergegeben, Dinge verlieren ihren geografischen Halt, ­sehen überall gleich aus. Das ist ein Verlust von Identität, vom Besonderen, vom Unverwechselbaren."

Einen möglichen Ausweg sieht Lin Utzon in Kreativität, Öffnung und Erneuerung. Es sei möglicherweise ein Fehler, Tradition als etwas Unverrückbares zu betrachten, und hier seien auch Künstler gefragt. Denn die Entwicklung des Kunsthandwerks gehe in zwei extreme Richtungen: die kommerzielle und die künstlerische. Ihre siurells gehören zur zweiten Kategorie: Lin Utzon spielt mit der Idee, sie sogar noch größer zu gestalten, um sie im Freien aufzustellen.

Siurells, Lin Utzon, CCA Andratx, 19.9. - 15.11., Tel.: 971-13 77 70.

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