Was für eine Heldin hat Alejandro Amenábar für „Ágora" gefunden, den mit 50 Millionen Euro Produktionskosten teuersten Film, den ein spanischer (präziser: spanisch-chilenischer) Regisseur je drehen durfte: Hypatia, die erste Astronomin der Menschheit, Heidin und Kämpferin gegen religiöse Fanatiker, die damals unter der Marke Christentum antraten, auf unbequeme Ideen einzudreschen, und oft auch auf jene, die sie vertraten.

Wenige Filme sind dieses Jahr mit mehr Spannung erwartet worden als das neueste Werk des Wunderkindes des spanischen Kinos (siehe Kasten). Seit vergangener Woche wird er auch auf Mallorca gezeigt. Zumal sich der Oscar-Preisträger auf ein für ihn vollkommen neues Genre eingelassen hat: historisches Drama, vulgo Sandalenfilm.

„Ágora" spielt im Jahr 391 nach Christus in Alexandria. Um diese Zeit herum lebte Hypatia in dieser Metropole des im Niedergang befindlichen Römischen Reichs. Sie war eine für ihre Zeit bemerkenswerte Frau: Tochter eines Astronomen und selbst Gelehrte, die erste nachgewiesene Mathematikerin und Astronomin der Menschheit sowie Autorin zahlreicher Werke, die jedoch in den Wirren der Geschichte verloren gingen.

Trotz aller Säulen und Sandalen transportiert die Handlung direkt ins Jetzt: Militante Anhänger des Christentums, gerade zur Staatsreligion erhoben, fühlen sich von Rede- und Gedankenfreiheit brüskiert und fordern Res­pekt ein.

Das klingt nun sehr bekannt, und Amenábar gesteht auch zu, dass sich sein Film „gegen jene richtet, die Bomben legen". Dass die Bösewichte hier Christen sind, lässt sich als eleganter Kunstgriff verstehen, um heute aktiven Fanatikern ans Bein zu pinkeln, ohne sie beim Namen zu nennen. Für manche ist das freilich zu komplex: In den USA hatte der Regisseur Schwierigkeiten, einen Verleih zu finden, weil die Befürchtung umging, bestimmte religiöse Kreise könnten sich von der Aussage des Films beleidigt fühlen. Tatsächlich hat das Christentum ja keine glorreiche Vergangenheit, was die Verarbeitung astronomischer Realitäten betrifft. Und um genau die geht es in „Ágora".

Ein zentraler Ort der Handlung ist die sagenhafte Bibliothek von Alexandria, die in Wahrheit zur Lebenszeit Hypatias nicht mehr bestand – die historische Hypatia unterrichtete zu Hause und starb auch nicht so jung wie Oscar-Preisträgerin und Hauptdarstellerin Rachel Weisz, jedoch genauso grausam. Amenábar ließ den Schauplatz auf Malta nachbauen und stellt Hypatia als Inkarnation der Weisheit und Vernunft dar. Entsprechend vernünftig hält sie Männer auf Distanz, ein historisches Detail: Die echte Hypatia soll zwar verheiratet gewesen, jedoch Jungfrau geblieben sein.

Im Prinzip hat Amenábar eine Großes-Kino-Wundermischung angerührt: unterschwellige Erotik (Hypatia keusch rüberzubringen ist wohl die größte Herausforderung für die bildhübsche Rachel Weisz gewesen), dazu der Überlebenskampf einer rationalen Denkweise, die bald dem Fanatismus des Mittelalters Platz machte, und das alles an einem legendären Schauplatz.

Dennoch sind die ersten Kritiken mau, bemängeln vor allem, dass „Ágora" trotz der Monumentalität des Dramas wie auch der Kulisse nicht mitreißt. „Respektabel, aber kalt" titelte etwa „El País". Möglicherweise hatte Amenábar Angst davor, in die Falle des engagierten Cineasten zu tappen. Oder provokant gesagt: Vielleicht brachte er zu wenig Glauben und Radikalität auf, um ein echtes Meisterwerk zu schaffen.

Der Regisseur

Alejandro Amenábar war gerade ein Jahr alt, als seine Familie aus dem Chile Pinochets nach Spanien floh. Und er war 25, als er mit dem Thriller „Abre los ojos" die Aufmerksamkeit von Tom Cruise erregte, der ihm die Rechte abkaufte, um später unter dem Titel „Vanilla Sky" ein Remake zu drehen. Cruise war es auch, der Amenábars bislang größten Publikumshit produzierte, den Gruselstreifen „The Others" (2001), meistgesehener Film des Jahres in Spanien und auch in den USA wochenlang in den Kinos. Hauptrolle: Nicole Kidman. Für seinen folgenden Film wechselte Amenábar das Genre: „Das Meer in mir" erzählt die wahre Geschichte des Querschnittsgelähmten Ramón Sampedro (Javier Bardem) und seinen Kampf um einen würdigen Tod. Amenábar gewann damit 2005 den Oscar für den besten ausländischen Film. Der heute 37-jährige Regisseur komponiert die Musik seiner Filme selbst („Ágora" ist eine Ausnahme) und hat auch den Soundtrack für andere Filme geschrieben.

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