Zu Jorge Ortuños wichtigsten Arbeitsinstrumenten gehören ein Lappen und eine Flasche Terpentin. Damit zerstört er an den meisten Abenden alles, was er den Tag über im Atelier geschaffen hat. Um sich am folgenden Tag mit neuen Ideen auf dasselbe Motiv zu werfen, das oft in Form eines aus dem Internet geangelten Fotos vor ihm liegt. Gemälde, die sich vor den Wisch-Aggressionen gerettet haben, sind derzeit in einer Ausstellung namens „Lost and Found" in der Galerie Driesch:Klonaris in Palma zu sehen. Es ist Ortuños erste Einzelausstellung „in einer richtigen Galerie".

Die merkwürdige Motivwahl erklärt der 29-jährige Valencianer mit seinen Lebensumständen. Zwei Jahre lebte er in Berlin, bis er die Kälte und die Dunkelheit nicht mehr aushielt und nach Mallorca flüchtete. In der ehemaligen Reichshauptstadt bearbeiteten ihn die Gespenster der Vergangenheit, er lebte am Prenzlauer Berg, „aufgeschüttet aus den Trümmern zerbombter Stadtteile" – wie, fragt Ortuño, hätte er da fröhliche Bilder malen sollen? „Geht nicht."

Also malte er Kaiser Wilhelm. Und er malte ein Foto der vor kurzem aufgetauchten Schnappschüsse einer KZ-Belegschaft beim fröhlichen Urlaub ab. Nie fotorealistisch, Ortuño trägt gerne dick auf, buchstäblich und im übertragenen Sinn, und er tut es ohne Angst vor Klischees. Auf Mallorca fingen seine Sensoren ungewöhnlich viele Stierkampfplakate ein. Und nackte Frauen – manchmal auch Männer – hat er sowieso immer auf dem Schirm. „Eigentlich ist ja alles ein Klischee", sagt er. „Als Künstler darf man sich davon nicht einschränken lassen."

Ohnehin verspürt er wenig Bedürfnis, sein Tun zu rechtfertigen, „ich muss einfach malen". Das Elternhaus ist von Künstlern durchsetzt, der Großvater – „mein Idol" – ist Landschaftsmaler und lebt in einem Haus, in dem man vor lauter Gemälden kaum noch an die Lichtschalter gelangt. Ein Onkel und Namensvetter lebt in Madrid und malt abstrakt. „Ortuño klingt schon so künstlerisch", meint Ortuño.

Sein Brot hat er sich bisweilen mit Jobs verdient, die zwar seine Fähigkeiten erfordern, aber nicht sonderlich viel Kreativität. In Deutschland arbeitete er neun Monate lang als Grafiker an einem Nintendo-Spiel. Den Maler Ortuño hat die Episode böse aus der Bahn geworfen, „ich brauchte eineinhalb Jahre, bis mir meine Gemälde wieder gefielen".

Die große Masse seiner jüngeren Produktion fiel somit den abendlichen Terpentin-Attacken zum Opfer, aus denen sich manchmal jedoch neue Formen des Ausdrucks ergaben – er löschte die Bilder nicht aus, verwischte sie nur.

Als er seinen letzten Job (als Verkäufer bei Müller) aufgab, um sich komplett der Vorbereitung der jetzigen Ausstellung zu widmen, musste der Galerist Klonaris einschreiten, um einige Bilder vor dem Verwischen zu retten. „Ihm gefielen sie", sagt der Valencianer achselzuckend. „Mir nicht."

Seine Vorliebe für etwas so Traditionelles wie Tafelbilder erklärt Ortuño mit dem Bedürfnis nach physischer Aktion. „Ich bin ein moderner junger Mensch, kenne alle wichtigen Programme, nutze elektronische Geräte, aber ich will nicht den ganzen Tag vor einem Bildschirm sitzen. Am Ende ist das ganze Zeug dort nicht real."

Jorge Ortuño: Lost and Found, Galerie Driesch:Klonaris, Palma, bis 12.2.