Als Albert Vigoleis Thelen seinen großen Mallorca-Roman schrieb, legte er seiner Fantasie keine Zügel an. Unter den Liebhabern der „Insel des zweiten Gesichts" diskutiert man daher gerne, wo genau die Grenzen zwischen Wahrheit und Dichtung verlaufen. Die Fundamente dieses ausschweifend erzählten Episodenromans sind jedoch solide: Der deutsche Autor und Übersetzer lebte von 1931 bis 1936 auf Mallorca, und wenn seine Fantasie abhebt – was sie oft tut –, dann tut sie das von der Startrampe Realität aus.

So ist ein Spaziergang durch Palma die perfekte Einstimmung auf den Themenabend, den die Mallorca Zeitung am Freitag (15.4.) um 20 Uhr veranstaltet. Manche der sehr realen Schauplätze des Romans sind nahezu unverändert, andere hat Thelen bei einem Inselbesuch nach dem Krieg selbst nicht wiedererkannt.

Bordells findet man etwa an der Plaça Olivar (1) keine mehr. Doch hier befand sich laut „Insel des zweiten Gesichts" die berühmte „Casa Margarita", in der zwei Schlüsselfiguren des Romans zueinanderfinden: Thelens Schwager Zwingli und die Prostituierte Pilar. Ein Notruf Zwinglis war der Grund, warum Thelen und seine Frau Beatrice überhaupt nach Mallorca kamen. Tatsächlich existierten an diesem Platz früher drei Rotlicht-Etablissements.

Majestätisch wie vor 80 Jahren und ziemlich gut in Schuss präsentiert sich Can Vivot (2) in der Carrer Can Savellá. Der Palast gehörte einem der engsten Freunde Thelens, Pedro Sureda. Dieser füllte später die Gedächtnislücken, als der Autor Anfang der 50er sein Buch schrieb – etliche Jahre nach den Ereignissen.

Nichts mehr zu sehen ist vom eleganten Hotel Alhambra, das am heutigen Hort del Rei (3) stand und in dem sich Albert Vigoleis Thelen seinerzeit herumtrieb. Nur wenige Schritte entfernt, nämlich im Haus Nummer vier der Calle Soledad (heute Soledat) (4), fanden Vigoleis und Beatrice nach ihrer Ankunft in Palma Unterschlupf. Zwingli und Pilar führten hier ihr Beziehungsspektakel auf, die Neuankömmlinge ergriffen bald die Flucht.

Auf dem Paseo del Borne nimmt eine der witzigsten Passagen des Buches ihren Anfang: Wo heute ein moderner Shop mit weißer Marquise steht, befand sich früher ein Tourismusbüro. Dieses engagierte Vigoleis als Reiseführer, der den Touristen prompt die unglaublichsten Geschichten auftischte. Thelen-Experte Jürgen Pütz glaubt, dass diese Darstellung weitgehend der Wahrheit entspricht.

In der Carrer Sant Feliu haben die Mallorquiner ihren fantasievollen Chronisten mit einer Tafel (6) geehrt. Zu beachten: Als Buchtitel wird „La isla de la segunda cara" angegeben, obwohl der Titel der spanischen Ausgabe „La isla del segundo rostro" lautet. Was damit zusammenhängt, dass der Initiator dieser Vigoleis-Ehrung – der Mallorquiner García i Boned – seine eigene Übersetzung des Romans angefertigt hat und dem Synonym cara den Vorzug gibt.

Direkt gegenüber geht es in eine enge Gasse, die früher General Barceló hieß, heute Ví (Wein). In der Nummer 11 wohnten Vigoleis und Beatrice im ersten Stock (7). Die im Roman beschriebene Schule auf der anderen Straßenseite gibt es bis heute. Ums Eck in der Carrer Apuntadors stand die „Pensión del Conde", heute ein Designhotel (8).

Die beiden nicht nummerierten Fotos zeigen Schauplätze, die außerhalb des hier gedruckten Stadtplans liegen. In der Carrer Arxiduc befand sich die letzte Wohnung des Paars, das nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs 1936 auf einem britischen Kriegsschiff die Insel verließ.

Auf der heutigen Plaça Abu Yahya hingegen stand die Torre del Reloj. Dieses seinerzeit berüchtigte Stundenhotel wurde von einem Statthalter des Milliardärs Juan March betrieben – für Thelen ein Grund, keine allzu konkreten Angaben zu liefern: Er hatte Angst, das Buch könnte seinen Freunden auf Mallorca Probleme bereiten.

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