Sie tragen Wollpullis und alte T-Shirts, sind unrasiert und nicht mehr ganz jung. Die fünf Musiker von Oliva Trencada setzen sich bewusst unsexy in Szene. Sie leben in Palmas Immigrantenviertel Pere Garau, singen über TV-Serien der 80er Jahre, schwule Hunde oder Flug­hafenfalken und tun so, als ob ihnen der Begriff Erfolg fremd wäre.

Dabei gehen sie gerade dessen Weg. Fans, Konzerte, Interviews, all das häuft sich neuerdings im Leben der Popmusiker. Den Namen ihrer Gruppe haben sie von den typisch mallorquinischen zerdrückten Oliven geliehen. Ihr viertes Album ist vor ein paar Monaten bei einem Kulturverein in Valencia erschienen. Es heißt €Perleta negra" und ist von ihnen selbst aufgenommen, gemischt und produziert worden, €ein autonomes Produkt", wie auf der Webseite des Kollektivs La Casa Calba steht.

Auf der Insel wird das Album mehr und mehr empfohlen, im Netz brummt die Mundpropaganda. Warum die elf Songs so gut gefallen, ist schnell erklärt: einfache Melodien, verspielte Arrangements, fröhlicher Grundton. Doch das ist nicht alles.

Es ist die Einstellung zur Welt, zur Insel und zum Ich, die den Musikern rund um Bandleader Pep Toni Ferrer eine einladende Alltäglichkeit verleiht. "Alle sind Oliva Trencada" sagt der 36-Jährige, "denn wir machen Folk, und in der Folkmusik gibt es kein Publikum, alle singen gemeinsam." Außerdem besingt das Quartett in astreinem Umgangsmallorquinisch Dinge, die hier passieren, mit kritischem, wenngleich unpolitischem Unterton. "Politisch sind wir pH-neutral", sagt Ferrer, "Auf unseren Konzerten schwingen die Separatisten anfangs ihre Fähnchen, aber spätestens beim dritten Lied sind sie weg." Ihre Kritik richtet sich gegen Wachstumspolitik, Werteverlust und Konsumismus, gegen einen Lebensstil also, der nicht zur entschleunigten Mentalität des Ur-Mallorquiners passt.

Die Gruppe zelebriert das Lokale, definiert es bewusst als provinziell und verschroben. "Auch Woody Allens Manhattan ist lokal", erklärt Pep Toni Ferrer. Auf der Suche nach unverbrauchten Identitätszeichen der Insel recyceln die Musiker Kindheitserinnerungen, hören sich in Dorfbars um, stöbern auf Flohmärkten, suchen nach dem vortouristischen Mallorca. Alles, was nicht auf Werbeprospekte eines Urlaubsparadieses passt, kommt in ihr Repertoire. "Wir singen nicht über Ikea, sondern über Mobles C´an Barato", sagt Pep Toni in Anspielung auf ein traditionelles Möbelhaus.

Diese Einstellung teilt das Quintett mit anderen katalanischsprachigen Gruppen, die sich auf ihre regionale Identität besinnen, sie auf Katalanisch besingen, sich dabei aber vor keinen Karren spannen lassen. Sie suchen die wahre Unabhängigkeit, nicht die der politischen Kleinparteien, sie suchen die innere, künstlerische Freiheit.

Auch die mallorquinische Gruppe Antònia Font ist ein Vertreter dieser Strömung, die spanienweit als neuer katalanischsprachiger Pop bekannt ist und zu der in Katalonien Manel, Refree, Mishima, Nacho Umbert oder Conxita gezählt werden. Die Band Manel hat es dieses Jahr geschafft, in ganz Spanien auf Platz eins der meistverkauften CDs zu gelangen, mit ihrem Album "10 milles per veure una bona armadura" (Zehn Meilen, um eine gute Rüstung zu sehen). Seit 15 Jahren war das keiner katalanischsprachigen Gruppe mehr gelungen: Zuletzt hatte ­Joan Manuel Serrat 1996 mehr als 10.000 Exemplare eines Albums verkauft und stand damit an Platz eins der Hitparade.

Dieses Sprach- und Kulturwunder ist eigentlich unerklärlich. Während Politiker in der katanalischsprachigen Peripherie des Landes untereinander und mit der Hauptstadt Madrid über Steuerausgleich und Sprachpolitik an Schulen streiten, singen ein paar unfrisierte Männer einfach Katalanisch drauflos und finden mit ihren fröhlich-frechen Songs Anhänger in Madrid, Santiago oder Sevilla. Das ist wahrer politischer Ungehorsam.

Vorgemacht hat das ein Mann namens Jaume Sisa. Der 63-jährige Liedermacher aus Barcelona hat sich im Verlauf seiner mehr als 40-jährigen Karriere das Image eines durchgeknallten, talentierten Querulanten aufgebaut, der in seinen über 20 Alben die Höhen und Tiefen des Lebens auf mehr oder weniger genießbare Art und Weise vertont hat. Sisa ist Kult, nicht nur im katalanischen Underground, und besonders seit er sein jüngstes Album "Visca la llibertat" (Es lebe die Freiheit) herausgegeben hat.

Sisas überbordende Kreativität, seine Sensibilität und sein starker Individualismus haben die neue Generation nun zum Selbstsein und dessen musikalischem Ausdruck ermutigt, wobei sich Kreativität vor allem in mehr oder weniger surrealistischen Texten und unorthodoxen musikalischen Arrangements zeigt.

Jenseits des weithin bekannten seny, dieses typisch katalanischen Pragmatismus, und auch jenseits des humorlosen Regionalismus sei in Katalonien wieder viel Raum für €charakterstarke Wunderkerzen", schrieb die Madrider Tages­zeitung "Público" jüngst. Sie spannt den Bogen katalanischen kreativen Wahnsinns von Salvador Dalí über Jaume Sisa und Albert Plá hin zu den neuen Gruppen.

Gemäß althergebrachter Empfindlichkeiten setzen sich die Mallorquiner indes etwas ab vom Boom katalanischer Popgruppen. Sie seien langsamer, hätten mehr Tiefgang und seien einfach ganz anders, so Pep Toni Ferrer. €Wir sind keine Kaninchen, wir sind Schildkröten", sagt er und fügt an: "Die Katalanen wollen Künstler sein, wir begnügen uns mit dem Dasein als Kunsthandwerker."

In diesem Sinne ist auch der ­Titel des neuen Albums zu verstehen: Perleta negra ist der Name, den die Mallorquiner den dunklen Seesternen an den Küsten ihrer Insel geben. Davon gibt es immer weniger. Die Gruppe versteht ihre CD als Hommage an das Tier und verleiht ihm die Rolle des Piraten "Schwarzes Perlchen", der im Mittelmeer elf Lieder geraubt hat. Zum richtigen Piraten hat er es, wie sein wenig heldenhafter Name andeutet, nicht gebracht.

Ein eigens für MZ-Leser untertiteltes Video von Oliva Trencada findet Sie hier: videos.mallorcazeitung.es