Wer heute zwischen Portopetro und dem Naturpark Mondragó an der Felsenküste entlangfährt, auf einer schmalen, asphaltierten Straße, der entdeckt zwischen wilden Sträuchern und ambitionslosen Ferienhäusern von Einheimischen ein Haus aus Steinquadern, das unfertig wirkt.

Seit rund 40 Jahren steht es dort zwischen Straße und Meer. Bis in die 90er Jahre wurde es bewohnt, danach regelmäßig genutzt: Can Lis, das „Haus von Lis", benannt nach Lis Fänger, die 66 Jahre lang die Ehefrau das dänische Architekten Jørn Utzon war und mit ihm drei Kinder hatte. 2010 starb Lis mit 91 Jahren in Dänemark, zwei Jahre nach ihrem Mann.

Wäre das Haus auf den Felsen nicht aus einheimischen Marés-, sondern aus Betonquadern gebaut, würde es an eine Rohbau-Ruine erinnern, wie man sie auf der Insel oft findet, besonders am Meer, wo das Bauen verboten ist. Den hellen Klötzen, die der berühmte Architekt Anfang der 70er vom mallorquinischen Baumeister Josep Montserrat aufeinanderschichten ließ, sieht man ihr Alter an: Sie sind rau und fleckig, mit stellenweise abgerundeten Kanten. Kein Wunder, denn sie sind Wind und Wetter ausgesetzt. Das Haus steht ein paar Schritte vom Abgrund entfernt. Es heißt, bei Wind spritze dort die Gischt an die Scheiben und bei gutem Wetter blende die Sonne so stark, dass der Meerblick in den Augen schmerze. Can Lis schaut nach Süden, mit rund einem Dutzend riesiger Fenster.

Diesen Sommer kann man es nun erstmals betreten, denn die Utzon-Stiftung in Aalborg hat das Haus Utzons Sohn Kim abgekauft und es Architektur-Stipendiaten und Besuchern zugänglich gemacht. Ab April wird dort ein spanischer Doktorand an seiner Arbeit über den Architekten arbeiten, danach kommen dänische Kunststudenten und später ein dänischer Architekt zum Arbeiten und Wohnen in einem Haus, das in Fachkreisen legendär ist.

Somit bleibt Utzons Haus auch den Insulanern erhalten. Viele befürchteten einen weiteren Ausverkauf mallorquinischer Baudenkmäler an Privatpersonen, die diese sofort einzäunen. Als das Haus 1972 fertig war, wusste niemand, wer Utzon war, er durfte als Ausländer bei seinem eigenen Haus nicht als Architekt unterzeichnen und musste Baumeister Josep Montserrat um diesen Gefallen bitten. Heute, wo der Däne in einem Atemzug mit Alvar Aalto oder Frank Lloyd Wright genannt wird, ist Mallorca stolz auf das berühmte, ärmliche Haus an der Küste. Es soll demnächst unter Denkmalschutz gestellt werden.

Die Lage ist recht abenteuerlich für den Ruhesitz eines VIPs, der mit seinem berühmtesten Bauwerk, der Oper von Sydney, zu Geld und Ehren kam, darüber aber auch verzweifelte. Sieben Jahre vor Fertigstellung des weltberühmten Gebäudes mit dem aufgefächerten Dach gab Utzon 1966 auf, wegen Streit mit den Behörden über die explodierenden Kosten und künstlerische Unstimmigkeiten. Mit falschem Namen und Kind und Kegel verließ er den Fünften Kontinent und betrat ihn nie wieder. Dabei war die Familie in ­Australien verliebt.

Die Utzons suchten einen Wohnsitz in Europa und fanden ihn auf Mallorca: Hier kannte sie niemand, hier wähnten sie sich im Paradies. Wer heute in den Patios und zwischen den Säulen herumgeht, wer sich auf das gemauerte, mit dicken Kissen bedeckte, halbrunde Sofa im Salon setzt, der empfindet vielleicht auch deswegen ein Gefühl der Nacktheit.

Wäre Can Lis der Entwurf eines Modeschöpfers, würde man den Stil wohl nude nennen: unverputzte, hautfarbene Steine überall, an den Wänden, auf dem Boden, innen wie außen. Nur die Decken sind weiß, aber so hoch, dass man sie nicht wahrnimmt. Alles spielt sich auf ebener Erde ab. Regale, Tische, Bänke sind gemauert, auch die Betten. Das Gestell mit Matratze steht in einer kajütenartigen Steinnische, die Schlafräume sind wie alles in dem Haus karg, erinnern an Mönchszellen.

Die fünf Hausblöcke stehen parallel zur Küste, sie sind durch Höfe und typisch mallorquinische Lamellentüren aus Holz verbunden. In ihrer Anordnung richten sie sich nach dem Sonnenstand und dem Bedürfnis der Bewohner: im Osten die Schlafräume, im Westen ein Open-Air-Büro. Der Tagesablauf des Paares soll stark ritualisiert gewesen sein, es gibt sogar einen Hof für den Nachmittagstee, mit zwei gefliesten Bänkchen und einer schattenspendenden Tamariske. Beim Rundgang weiß man bald nicht mehr, ob man sich im oder außerhalb des Hauses befindet. Das war wohl Utzons Traum: leben im Freien mit einem Dach über dem Kopf.

Als er noch darin wohnte, mit seiner Frau und dem jüngsten Sohn Kim, wurde das Haus mehr und mehr zum Tempel internationaler Utzon-Pilger. In seiner Abwesenheit wurde 1973 die Oper in Sydney eingeweiht, der Ruhm wuchs. Die Familie zog schließlich weg, zunächst in ein zweites, Can Feliz (Haus Glücklich) genanntes Haus im waldigen Hinterland, später nach Dänemark. Der Traum vom ungestörten Leben in der Natur war zum Albtraum geworden: Besucher ließen Jørn Utzon keine Ruhe, der poröse Sandstein zog so viel Feuchtigkeit, dass es im Winter kalt wurde. Das Salz und das Sonnenlicht schadeten außerdem Utzons Augen, die allmählich erblindeten. Da hatte Can Lis, das Haus mit dem spektakulären Meerblick, seinen Sinn verloren.

Bald wird eine Webseite online gehen, auf der man Besuche anmelden kann (www.canlis.com oder www.canlis.dk). Die Utzon-Stiftung im Internet: www.canlis.comwww.canlis.dkwww.utzoncenter.dk

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 22. März (Nummer 620) lesen Sie außerdem:

- Ab Freitag im Kino: "El perfecto desconocido"

- Alfred-Lichter-Stiftung eröffnet

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