Sie sind verbrüdert und verschwestert, treffen sich immer am selben Ort, um immer dasselbe zu tun, im Hinterzimmer einer Nachtbar. Die Teilnehmer der „Estación Spoken Word", der Haltestelle Gesprochenes Wort, treibt ihre Liebe zum Vers zusammen, nichts anderes. Seit gut einem Jahr organisiert der 32-jährige Grafikdesigner Toni Bauzà die monatlichen Treffen im Vamp Café. Die Musikkneipe in einer der drei Mühlen an der Carrer Indústria in Palma bietet das passende Ambiente: schwache Beleuchtung, gewölbte Decken, modriger Geruch.

Zum Stelldichein am vergangenen 11. Januar sind Jim, Delfín, ­Macky, Fran und Máximo gekommen, neben ein paar Dutzend anderen, die die Stimmung mit Zwischenrufen, Szenenapplaus und Gelächter anheizen. Das Motto des Abends ist „Liedertexte", die Vortragenden haben sich entsprechend vorbereitet. Jim, auf der Insel ansässiger Englischlehrer aus New York, betritt als erster die kleine Bühne, mit Strophen von den Talking Heads, The Cure und Paul Simon. Als er den zweiten Text „Listening Wind" liest, von David Byrne für das Album „Remain in Light" vor 32 Jahren geschrieben, wird der Zauber der Lyrik und der Sinn dieser Veranstaltung spürbar. Mäuschenstill sitzen die Zuhörer an den kleinen, runden Tischen, während vor ihrem inneren Auge die ­nordafrikanische Szenerie des Liedes auftaucht.

Toni Bauzà, der den Abend programmiert hat und auch moderiert, steht immer wieder selbst auf der Bühne, dort, wo später noch eine Band spielen wird. Er hat Songtexte ausgesucht, die so schlecht sind, dass das Publikum brüllt vor Lachen, vom spanischen ­Copla-Sänger El Fary zum Beispiel. „Ich dachte mir, dass alle ihren Idolen huldigen und das Ganze sehr andächtig werden würde, deshalb hab ich was Lustiges mitgebracht", sagt er während der Pause bei einer Zigarette vor dem Lokal.

Und so heitert er mit seinen Einlagen zum Beispiel auch das düster-erotische Rezitat der argentinischen Punksängerin Maki auf, die Tom Waits´ Lied „Christmas Card From a Hooker in Minneapolis" (Weihnachtskarte von einer Prostituierten aus Minneapolis) vorträgt, erst halb singend auf Englisch, dann inszeniert auf Spanisch. Ein schaurig-schöner Moment, getragen von der Kraft des Textes und dem Talent der Künstlerin. Auch dem spanischen Popidol Antonio Vega wird gehuldigt, von Máximo, einem treuen Teilnehmer der Treffen. Antonio Vegas früher Tod vor drei Jahren, die Tristesse seiner Verse und die offensichtliche Rührung des Vortragenden verbreiten im Publikum gedämpfte Stimmung.

Bauzàs Motivation, die Dichterabende zu organisieren, ist die reine Freude am geschriebenen und gesprochenen Wort. Geld fließt keines, alle Veranstaltungen sind kostenlos. Er lädt Vortragende persönlich ein, freut sich auch über spontane Teilnehmer, bewirbt die Abende mit selbst entworfenen Plakaten und per Facebook. „Mit Poetry Slam hat das nichts zu tun", sagt er. Spoken Word-Treffen sind keine Wettbewerbe mit Selbstgedichtetem, sondern Zelebrationen des Wortes, ohne Leistungsdruck aber mit Qualitätsfilter. Es muss nicht nur Selbstgeschriebenes vorgetragen werden, aber die meisten Lesenden haben auch etwas Eigenes auf dem Papier. „Manchmal sind das ermüdend lange Riemen, doch fast alle Gedichte haben mindestens ein glanzvolles Moment," sagt er. Einige Autoren haben mittlerweile Gedichtbände publiziert „und bleiben uns dennoch treu", sagt er freudig.

Da wird die zweite Bedeutung der Abende klar: den Autoren die Angst vor dem Publikum zu nehmen und deren Schaffenskraft anzutreiben, denn mit Deadline schreibt es sich oft besser. Wer mitmachen möchte - auf Spanisch oder Englisch -, kann sich für den Abend am 15. Februar Gedanken zum Thema „New York" machen (20.30 Uhr). Selbstgeschriebenes oder fremde Verse sind willkommen. Toni freut sich über Anmeldung und ein kurzes Gespräch vorab, um Stil und Thema kennenzulernen.

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