Wenn Carlos Venturelli seiner Mandoline melancholisch-melodiöse Klänge entlockt, vergegenwärtigt sich vor dem Zuhörer ohne Zeitverzug der Zuckerhut. Und dann auch noch der Corcovado und der Ipanema-Strand im Spätnachmittags-Licht. Die Musik, die der auf Mallorca lebende und aus Rio de Janeiro stammende Musiker spielt, heißt Choro. „Sie entstand um 1870, ist eine Vermengung von autochthonen und europäischen Elementen", wie er sagt, „und steht am Anfang von allem". Davor habe man in Brasilien nur europäische Musik gehört, doch nach der Befreiung der Sklaven sei das Populäre in den Vordergrund gerückt. „Der in den 20ern entstandene Samba und der noch später erfundene Bossa Nova, eine Mischung von Jazz und brasilianischen Klängen, fußen auf dem Choro", so der Künstler, der seine Klänge Interessierten jeden Freitag ab

22 Uhr im seit 18 Jahren bestehenden Kultlokal „Made in Brazil" am Paseo Marítimo in Palma zu Gehör bringt.

Mit 15 Jahren Inselerfahrung ist Carlos Venturelli schon ein alter Hase unter den etwa 50 Musikern, die sich laut Schätzungen von Mónica Rocha von der „Asociación de Amigos de Brasil" auf Mallorca umtun. „Ich sorge dafür, dass etwa Hotels, die brasilianische Musiker haben wollen, diese auch bekommen", sagt die ausgebildete Samba-Tänzerin aus Rio de Janeiro mit jahrelanger Auftrittserfahrung beim dortigen berühmtesten Karneval der Welt. „Seit sechs Jahren wohne ich auf Mallorca, und ich fühle mich richtig wohl", sagt sie.

Auch der erst seit drei Jahren auf der Insel befindliche Gitarrist Pedro Rosa lässt sich von Mónica Rocha Auftritte vermitteln. „Ich bewege mich zwischen Jazz und brasilianischer Musik", definiert der Zuwanderer seine musikalische Heimat. Ein neues Projekt mit brasilianischen Rhythmen, das Rosa umtreibt, nennt er unter Anspielung auf eine afrikanische Wasser-Göttin „Yemanja". „Die Leute hier auf der Insel interessieren sich immer mehr für unsere Musik", sagt der Künstler. Er sehe deswegen durchaus noch mehr Auftrittsmöglichkeiten für Musiker aus seinem Land, zumal gerade Menschen aus nördlichen Gefilden wie Deutschland „ein besonderes Faible für unsere entspannenden und tanzbaren Rhythmen haben". Außerdem sei Mallorca ein „praktisches Sprungbrett" für Auftritte anderswo in Europa.

So sieht das auch Bruno Rodrigues aus der Provinz Minas Gerais mit Belo Horizonte als Hauptstadt, der erst seit elf Monaten auf der Insel weilt und ebenfalls so schnell nicht wieder weg will, zumal ihn die Menschen hier „verzaubern". Zusammen mit anderen brasilianischen Residenten arbeitet er gerade an einer CD mit dem Arbeitstitel „Brazilian Soul Project". Dort sollen sich Samba, Bossa Nova, aber auch brasilianische Rhythmen aus dem Norden des Landes wiederfinden. „Ein Label habe ich schon, und ich denke daran, das Album auch jenseits von Spanien, etwa in Deutschland, zu promoten."

Vielen von ihnen ein wichtiger Ansprechpartner ist Miguel Ángel Sancho, Besitzer des bekannten „Xocolat"-Musikladens in Palma und des „Blau"-Labels. Der Insulaner ist so etwas wie der Doyen des balearischen Musik-Geschäfts und hat die brasilianischen Klänge immer im Auge. „Vor einigen Monaten haben wir eine Platte mit dem ´Little Lion Trio´ in den Verkauf gebracht", sagt er. „Das Besondere daran ist, dass keiner der Musiker Brasilianer ist." Einer ist Schwede, ein anderer Mallorquiner und die Sängerin ist Argentinierin.

Die unter anderem bei „Youtube" abrufbaren Bossa Nova-Rhythmen der Gruppe fließen zuweilen etwas leise, aber immer weich wie Seide ins Ohr. Man ist in Nullkommanichts entspannt und wippt zwar nicht entfesselt, so doch mit Spaß an der Sache mit. Sängerin Cecilia Giménez kam vor über zehn Jahren aus Buenos Aires nach Spanien und wohnt seit drei Jahren auf der Insel, wo sie sich unter anderem mit Musikunterricht am städtischen Konservatorium in Palma verdingt. Mit der brasilianischen Musik begann sie sich erst in Barcelona intensiver zu beschäftigen. Cecilia Giménez singt nicht nur im „Little Lion Trio", sondern zudem in der in Santanyí heimischen „Glissando Big Band" mit immerhin 20 Leuten. „Ich will an keinem anderen Platz mehr leben", sagt die Musikerin sehr bestimmt. Für Zuckerhut und Corcovado ist dennoch viel Platz in ihrer Seele.