Joan Miquel Oliver steht auf der kleinen Bühne im Plattenladen Xocolat in Palma und macht den Soundcheck. Er trägt weiße Sneaker, Jeans und T-Shirt und sieht eher aus wie ein Roadie als einer, der seit fast 20 Jahren einer der bekanntesten Songwriter Mallorcas ist. Der 40-Jährige hat seine Akustikgitarre dabei. Später an diesem Nachmittag wird er sein neues Album „Pegasus“ präsentieren. Es ist die erste musikalische Veröffentlichung seit dem Ende der Band Antònia Font, deren Songautor und Gitarrist Oliver 16 Jahre lang bis zur Auflösung der Band 2013 war. Die auch spanienweit sehr erfolgreiche mallorquinische Popgruppe war bekannt für ihre absurden, collagenhaften Texte aus der Feder von Joan Miquel Oliver. Das hat sich bei „Pegasus“ nicht wirklich geändert.

Herr Oliver, wenn man in den vergangenen Wochen Interviews mit Ihnen gelesen hat, dann fiel auf, dass viele Fragen sich auf Ihre undurchdringlichen Texte bezogen. Wenn schon Mallorquiner Ihre auf Katalanisch gesungenen Texte nicht verstehen - wie soll das jemand anders tun?

Meine Alben sind immer wie Reisen, sie beschreiben eine parallele Realität. Ich optimiere eine nicht perfekte Wirklichkeit. Sie sind wie eine Kapsel, in der Phantasie, Vorstellungskraft und Musik zusammenkommen. „Pegasus“ ist eine Reise durch Mallorca, die am Meer beginnt, danach mit dem Fahrrad durch das Land führt und schließlich in der Zivilisation ankommt.

Was erleben Sie auf dieser Reise?

Der erste Song etwa heißt „Marès a radial“. Marès ist dieser ­sandfarbene Kalkstein, aus dem auch die Kathedrale in Palma gebaut ist. Die Steinbrüche vom Marès lagen oft am Meer, um die Steine per Schiff transportieren zu können. Die Steinbrüche sind teilweise seit Jahrzehnten verlassen. Was früher streng quadratisch geformt war, hat sich abgerundet. Es sind Wasserbecken entstanden. Es sind beeindruckende, teils schwer zugängliche Orte. „Marès a radial“ beginnt dort. Bei „Pegasus“ bin ich nachts an einem einsamen Strand und sehe Lichter in der Ferne. „Teuleres tancades“ behandelt die mittlerweile geschlossenen Ziegeleien, die uns an die industrielle Vergangenheit Mallorcas erinnern. In den 60er Jahren hat man die industrielle Vielfalt zugunsten des Tourismus aufgegeben.

„Marès a radial“ ist ein ruhiger, von Akustik­gitarre und Bass getragener Song. Ein traumwandelndes Lied an einem sonnigen Tag. „Die Funken der Sonne auf dem Meer sind Reflexe/Du kommst raus und trocknest dich ab: Was machst du?/Ich töte Hubschrauber, heute Abend gehen wir Cocktails trinken.“ Oliver hat ein Glas Herbes Dolces mit Eis neben sich auf dem Tisch stehen, rührt es aber nicht an. Er gibt sich sachlich, aber nicht unfreundlich.

Was inspiriert Sie zum Songschreiben?

Grundsätzlich die Realität. Das können ebenso Landschaften wie Reinigungsmittel sein oder Menschen, die ich kenne. Mallorca kommt natürlich viel vor, weil ich hier mein ganzes Leben verbringe. Wäre ich woanders, würde ich sicher andere Songs schreiben.

Sie haben ein Jahr für dieses Album gebraucht. Das ist eine lange Zeit.

Dies ist mein erstes Soloalbum nach dem Ende von Antònia Font. Ich habe mich unter Druck gesetzt und auch ein wenig verlassen gefühlt. Antònia Font hatte eine eigene Dynamik. Wir hatten unser Publikum, es war recht einfach. Das war bei diesem Album nicht mehr da. Ich wusste nicht, wie das wird. Aber ich bin sehr zufrieden.

Oliver hat den von Antònia Font zelebrierten Stil wenig verändert. Man hört süßliche, fast kindlich-naive Melodien, die jedoch durch die abstrakten ­Texte nicht ins Lächerliche abgleiten. Auch bei der Instrumentation und der Stilistik gibt sich Oliver ­verspielt. Sphärische Elektronik und Gitarrenarpeggien vereinen sich mit Sambarhythmen und vorsichtig pumpenden 4/4-Bässen.

Was ist der größte Unterschied zwischen dem Songschreiben für Antonia Font und für „Pegasus“?

Wenn man mit einer Band arbeitet, ist alles sehr spontan. Wenn man alleine ein Album macht, ist alles etwas analytischer. Gleichzeitig hat man natürlich mehr Kontrolle über den Schaffensprozess. Ich habe alle Spuren auf dem Album aufgenommen. Früher war es die Aufgabe von Pau (Debon, der Sänger von Antònia Font, Anm. d. Red.), meinen Texten und Melodien Leben einzuhauchen. Jetzt weiß ich Wort für Wort, was mit dem Song passieren wird. Ich schreibe die Songs für ein Instrument, dass ich seit vierzig Jahren mit mir herumtrage: meine Stimme.

Ist die Spontaneität nicht not­wendig beim Songschreiben?

Die Kontrolle ist an sich nicht unbedingt was Gutes. Aber mir gefällt es. Zwar versuche ich unbefangen in einen neuen Song zu gehen, aber danach analysiere ich gerne das Erdachte. Ich baue ein Puzzle aus dem Song zusammen. Und wenn man auf dem Niveau alleine arbeitet, ergeben sich weniger Konflikte, die man vielleicht mit anderen Leuten hätte.

Wann wissen Sie, dass ein Song fertig ist?

Wenn er mich bewegt. Ich gehe jeden Tag ins Studio und höre mir das an, was ich am Vortag aufgenommen habe. Jede Spur für sich. Wenn mir gefällt, was ich höre, ist der Song da. Wenn nicht, dann nicht.

Sie haben 16 Jahre lang mit Antònia Font Alben gemacht und Konzerte gespielt, Sie haben Bücher geschrieben und mit der aktuellen Veröffentlichung Ihr drittes Soloalbum vorgestellt. Wundern Sie sich eigentlich manchmal, dass die Leute immer noch neue ­Sachen von Ihnen hören wollen?

Hombre, ich glaube, ich mache sehr schöne Sachen. Ich versuche es zumindest. Sachen, die den Leuten gefallen. Das heißt natürlich nicht, dass ich meine Arbeit danach ausrichte, was den Leuten gerade gefällt. Darüber denke ich bei der Arbeit nicht nach. Ich mache das, was mir gefällt. Ich versuche, kreativ und originell zu sein. Und wenn man das macht, dann erkennt das Publikum es an. Es will

Authentizität. Darum geht es. Nichts anderes.

Joan Miquel Oliver spielt am 23. Mai um 19.30 Uhr im Claustre de Sant Francesc (C/. Ramón Llull, 1) in Palma. Eintritt:15 Euro, www.codetickets.com