Im Grunde waren die Inka zur falschen Zeit an der richtigen Stelle. Als die spanischen Eroberer 1532 in die Gegend kamen, die wir heute Peru nennen, waren die Inka gerade mal seit 150 Jahren an der Macht. Die Spanier schrieben Berichte, die mit großer Spannung in der alten Welt gelesen wurden - und dafür sorgten, dass uns diese Zivilisation bis heute ein Begriff ist. Dass Peru eine weitaus längere, bei Ankunft der ­Spanier bereits 4.500 Jahre währende Geschichte von Kulturen und Zivilisationen hatte, sei Historikern und Archäologen erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts langsam klar geworden, sagt Andrés Álvarez-Calderón, der Leiter des Museum Larco in Lima.

Der Leihgabe seines Museums ist es nun zu verdanken, dass im CaixaForum (Plaça de Weyler, 3) ein bemerkenswerter Einblick in die präinkaische Kultur möglich ist. Mit über 100 Ausstellungsstücken widmet sich „El arte mochica del antiguo Perú. Oro, mitos y rituales" der Kultur der Mochica, die ihre Blütezeit zwischen den Jahren 200 und 850 n. Chr. entlang der nördlichen Küste des heutigen Perus hatte. Erste Ausgrabungen leitete der deutsche Archäologe Max Uhle Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Peruaner Rafael Larco führte die Forschungen fort und gründete 1926 das Museum, aus dessen Sammlung die in Palma ausgestellten Stücke stammen.

Die Fortschritte bei der Erforschung der Mochica beschränkten sich zunächst auf die Interpreta­tion ihrer Kunst und Ikonographie. Ein Wendepunkt war der Fund der unberührten Herrschergräber von Sipán durch den peruanischen Archäologen Walter Alva im Jahr 1987. Diese und weitere Grabungen erlauben seither ein umfassenderes Verständnis nicht nur der von Symbolik geprägten Grab­ bei­gaben, sondern auch der hochkomplexen gesellschaftlichen Strukturen dieser Kultur.

Die Mochica waren kein homogenes Volk, sondern eher eine Ansammlung verschiedener Gruppen und Stämme mit religiösen und kulturellen Gemeinsamkeiten. Die Ausstellung erzählt in drei Abschnitten von ihnen. Im ersten Teil lässt sich das mythologische Weltbild und das künstlerisches Bewusstsein anhand von Keramiken und anderen Figuren entdecken. „Grundsätzlich kann man die Kunst als Lingua Franca innerhalb der Kulturen der Mochica betrachten, von denen man annimmt, dass sie auf ­unterschiedlichen Sprachen miteinander kommunizierten", erklärte bei der Präsentation der Ausstellung Ulla Holmquist, Chefkuratorin des Museums Larco.

Für die Mochica teilte sich die Welt in drei Ebenen: die Unterwelt, das Irdische und das Über­irdische. Lebewesen wie Tiere und Pflanzen symbolisierten die Verbindung zwischen diesen Welten. Die Schlangen etwa verbanden das Unterirdische mit dem Irdischen, die Vögel das Irdische mit dem Überirdischen.

Gleiches gilt für Pflanzen wie die Kartoffel oder den Mais, Grundnahruns­mittel, denen ebenfalls eine große symbolische Bedeutung zukam. Keramiken, die diese Tiere und Pflanzen darstellen, wurden häufig den Gräbern beigelegt. Dabei betrachteten die Mochica diese Welten wohl als unterschiedliche Bewusstseins­zustände, in denen Leben und Tod aufging.

Die Verbindung zwischen den Welten durchzieht als zentrales Motiv die gesamte Ausstellung. Es findet sich nicht nur bei den Grabbeigaben, sondern auch bei den im zweiten Teil ausgestellten Machtinsignien aus fein verarbeiteten Edelmetallen. Selbst Darstellungen von sexuellen Akten, die in einem weiteren Teil der Ausstellung präsentiert werden, sind von den Forschern als Symbole für den Übergang zwischen den Welten interpretiert worden - wobei ebenso deutlich wird, dass die Mochica ein überaus lebenslustiges Volk gewesen sein müssen, das auch dem Chicha-­Bier nicht abgeneigt war.

Die drei Welten finden sich auch in der Geschichte von Ai Apaec, einer mythologischen Figur, die in der Ausstellung nicht zuletzt für die Kinder eine Art Actionheld abgibt. Ai Apaec begibt sich auf eine abenteuerliche Reise durch das Meer, muss Gegner und Hindernisse überwinden und wird von einem Gott geköpft, bevor er von Vogelfrauen unterstützt wieder die Rückreise auf die Erde antreten kann (die kleinen Besucher können sich in einem Raum dann noch weitere Fabelwesen zusammenstellen).

Die Köpfung, wie sie Ai Apaec widerfährt, ist ein wiederkehrendes Motiv in den mythologischen Darstellungen der Mochica. Der Kopf wurde als Machtzentrum des Körpers verstanden. Durch das Abtrennen holten sich die Götter den ihnen zustehenden Teil zurück. Nicht selten wurden deshalb auch Keramiken in Form eines Kopfes den Gräbern beigelegt. Zudem sollen Mitglieder der Elite Halsketten mit Köpfen aus Gold getragen haben, die ihre soziale Stellung repräsentierten.

Die über die Jahrhunderte immer weiter perfektionierten Keramiken sind mitunter mit Spiralen oder dreistufigen Treppen (die wieder für die drei Bewusstseinszustände stehen) geschmückt. Auch sie aber erzählen von Göttern und Menschen, von gesellschaftlichen Hierarchien, von Jahreszeiten und dem Wandel der Natur. Sie sind Selbstbild, Geschichte und Kultur zugleich.

Angesichts des hohen zivilisatorischen Niveaus, das die Mochica erreichten, ist ihr Ende fast absurd. Statt eines schleichenden Niedergangs, kollabierte diese Kultur innerhalb weniger Jahren. Ähnlich wie bei den Mayas wurden Tempel verlassen, Traditionen aufgegeben, es entstanden Geister­städte.

Über die Ursachen ist man sich in der Forschung uneins. Manche vermuten veränderte Umweltbedingungen, andere Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Der Archäologe Luis Jaime Castillo Butter schreibt im Katalog, die Mochica hätten ein politisches und soziales System aufgebaut, das auf Wachstum basierte. Zur Legitimation habe man großartige Tempel gebaut und ausgefeilte Rituale erfunden. Als das Wachstum aber an seine Grenzen stieß, sei das politische System aus Mangel an Kraft zur Selbsterneuerung zusammengebrochen.

El arte mochica del antiguo Perú. Oro, mitos y rituales. Caixa­Forum, Plaça de Weyler, 3. Bis 31.1. Infos: caixaforum.com/agenda