Der dünne junge Mann nimmt die Atemmaske ab und klettert vom Gerüst herunter, das an der seitlichen Fassade des Apartment­hotels Flor los Almendros (Boulevar Peguera, 34) angebracht ist. Er stellt die Graffitidose auf den Boden. „Hi, ich bin Ador", sagt er. Kein echter Name, nur sein Künstlername. Er ist einer von neun Street-Art-Künstlern, die bei der diesjährigen Ausgabe der Kunstaktion BetArt der Gemeinde Calvià in Peguera mitmachen. Ziel der seit 2012 stattfindenden Street-Art-Reihe ist es, Kunst in den öffentlichen Raum zu bringen und die Gemeinde als Ziel für Kulturtouristen aufzuwerten.

Der internationale Beitrag

Ador macht gerne ein Geheimnis um sich - so wie viele Street-Art-Künstler. Allerdings nicht aus gesetzlichen Gründen, sondern um des Rufes willen. Illegal auf der Straße zu malen kommt für ihn ohnehin nicht infrage. „Ich gehe aber ab und zu in Ruinen, um Sachen auszuprobieren und für mich selbst zu malen." Geboren sei er in Nantes, laut eigener Angabe ist er 30. Er sagt aber auch: „Ich lüge gerne in Interviews darüber, wo ich wohne und wie alt ich bin."

Ador malt fantasievolle Figuren. Für die BetArt hat er sich für einen Wandervogel mit ganz vielen Füßen entschieden. Dieser schaut in den Himmel und scheint nach einem Taxi zu rufen. Um das Handgelenk, das einen Koffer mit Aufklebern trägt, hat er durchgeschnittene Handschellen. „Er war nämlich vorher im Gefängnis, jetzt schaut er sich die Welt an", sagt der Künstler, der ihn geschaffen hat, und lacht. Er scheint aufrichtig amüsiert zu sein über diese kleine Hintergrundgeschichte.

Ador wirkt ein wenig schrullig, aber nicht unfreundlich. Als ob man ihm nicht alles ganz abnehmen kann. Nur an einer Stelle wirkt er ernst: „Als ich an der Kunsthochschule war, habe ich den Professoren meine Graffitis gezeigt. Sie meinten, ich solle sie mit meinem Teenager-Quatsch verschonen." Gehört hat er nicht darauf. Heute gilt er als einer der talentiertesten Nachwuchs-Straßenkünstler Europas.

„Ich schätze an Ador seinen ironischen, originellen Stil", sagt Ana Ferrero Horrach. Die 30-Jährige ist eine von drei Kuratorinnen der BetArt. Ador hatte sie bei einer Arbeit für das Pariser Kunstzentrum Jeu de Paume kennengelernt. Ana Ferrero hatte sich mit Adors Werk und mit dem des bekannten mallorquinischen Künstlers Joan Aguiló um die Kuratorenstelle beworben. „Ich wollte einen Kontrapunkt setzen: den internationalen Geist gegen die lokale, auf die Wurzeln fixierte Kunst."

Der mallorquinische Star

Knapp zwei Stunden später sitzt Ador unweit seines Wandervogels mit Aguiló im Restaurant Casa Rustica und tunkt Brot in Aioli. Gleich nebenan, im Carrer Olivera Nummer 7, hat der

Mallorquiner seine Fassade zugeteilt bekommen.

Die Kuratorin Ferrero sagt, sie habe ihren Künstlern keine ­Vorgaben hinsichtlich der Motive ihrer Werke gemacht. Gleichzeitig müssen sie beide verstanden haben, was sie wollte. Denn während der Gast Ador wie sein Wandervogel nur kurz auf der Insel aufsetzt, geht der Lokalheld Aguiló zurück in seine Kindheit und beschwört mit seinem Werk das Leben und die Identität der Mallorquiner. „Com a crancs enrocats" (Wie Krebse auf einem Felsen) steht am oberen Ende des neun mal sechs Meter großen Bildes, das der Künstler am Samstag (12.3.) fertiggestellt haben will.

„Kennst du diese Krebse, die auf ihrem Felsen sitzen und sich davon nicht fortbewegen? Als ob dieser eine kleine Felsen die ganze Welt für sie ist. Ich glaube, so sind wir Mallorquiner mit unserer kleinen Insel verbunden", sagt der 30-Jährige aus Palma.

Das - wie alle seine Street-Art-Werke - extrem realistisch gemalte Wandbild zeigt zwei Kinder, die mit Keschern am Strand Krebse fangen. „Das symbolisiert für mich Kindheit auf Mallorca." Es gehe ihm darum, den Touristen ein bisschen etwas über den Charakter der Insel zu erzählen. Und gleichzeitig den Einheimischen etwas zu bieten, mit dem sie sich identifizieren können.

Eine Reise in die Vergangenheit

Ein paar hundert Meter weiter, auf dem Gästeparkplatz des Hotels Villamil am Carrer Joan XXIII, lernt Javier de Riba gerade Kran fahren. Zusammen mit María López bildet der 30-Jährige Katalane das Künstler- und Design-Duo Reskate Arts & Crafts.

Auf eine der Wände wollen sie noch bis Sonntag (13.3.) eine Art Werbeplakat malen. „Aber anstatt auf ein Produkt hinzuweisen, nehmen wir ein Sprichwort. Unsere Idee ist es, dadurch den öffentlichen Raum, der visuell so gesättigt ist, mit etwas Positivem zu bespielen", sagt die 35-jährige López, die aus San Sebastian stammt.

In diesem Fall ist es das katalanische Sprichwort „ A so de timbals no s´agafan llebras" (Mit dem Klang von Trommeln fängt man keine Hasen). „Das bedeutet, dass man zurückhaltend an die Dinge herangehen soll", erklärt de Riba. Reskate malen ihre Plakate in einem Stil, der an die Werbung von Ende des 19. Jahrhunderts erinnert. Ohne exaltierte Grafik, mit matten Farben, das Wesentliche auf den Punkt bringen. Statt mit der Sprühdose arbeiten sie mit Pinseln. Auch für die kommer­ziellen Aufträge, die sie als Designstudio bekommen. „Bei uns wird alles mit der Hand gemacht."

Das Duo hat sich für das Festival beworben und wurde der Kuratorin Ferrero zugeteilt. Diese zeigt sich hoffnungsvoll: „Reskate bringen einen Stil mit auf die BetArt, den es hier so noch nicht gab."

Spätestens an diesem Wochenende sollen alle neun Wandbilder fertig sein. Auf der Website der Gemeinde Calvià kann man sich über alle Adressen informieren. Zudem gibt es Routenpläne für die früheren Ausgaben der BetArt in Santa Ponça und in Magaluf. „Wir rechnen damit, dass es den Führer für Peguera ab Juni gibt", sagt Ferrero. Bis dahin kann man die Werke auf eigene Faust erkunden.

www.calvia.com/cultura

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