Helga de Alvear, geborene Müller, gehört zu Spaniens wichtigsten Galeristinnen und hat eine der bedeutendsten Kunstsammlungen Europas. 2014 bekam sie das Bundesverdienstkreuz am Bande für ihre Arbeit im kulturellen Austausch. Dieses Jahr ist die Wahlmadrilenin 80 Jahre alt geworden - und macht weiter wie bisher. Ihre Sammlung hat sie der Region Extremadura vermacht. Mallorca hatte abgewinkt.

Wie ist Ihre Beziehung zu Spanien nach 60 Jahren in Madrid?

Das Spanische ist mir immer noch fern, Fiestas mochte ich noch nie, und jetzt im Alter werde ich deutscher. Dabei habe ich hier große Anerkennung erfahren. Es gibt ja an Preisen nichts, was sie mir nicht geschenkt haben. Aber trotz allem: Man sagt hier "Helga es rara" (Helga ist komisch).

Sie sind eine Industriellentochter aus dem Hunsrück. Wie hat Ihre Familie reagiert, als sie mit 20 einen Spanier geheiratet haben und die Kunstentdeckten?

Die waren total dagegen. Eigentlich wollte ich ja Pianistin werden, aber auch das galt als brotlos.

War es schwierig für Sie?

Ja, mit meiner deutschen und mit meiner angeheirateten spanischen Familie. Immer gab es großes Durcheinander. Ich habe nie gemacht, was die anderen wollten. Ich bin dann sehr krank geworden, musste zur Psychoanalyse, das erzählt man hier ja auch nicht. Die Therapeutin war Österreicherin und mit einem Spanier verheiratet. Sie wusste, was los war. Sie hat mir gesagt: „So, Sie suchen sich jetzt eine Arbeit und dann können Sie Bäume ausreißen." Und das mache ich immer noch.

Wer wird das weiterführen, was Sie aufgebaut haben?

Niemand. Die Galerie wird zugemacht, die Arbeiten gehen an die Künstler zurück. Und meine Sammlung kommt nach Cáceres. Die gehört dann Spanien.

Und Ihre Töchter und Enkel, werden sie nicht einsteigen?

Meine jüngste Tochter habe ich ins Guggenheim geschickt, die Leiter waren Freunde von uns, da hat sie sehr viel gelernt. Aber dann hat sie einen Amerikaner kennengelernt und dann war´s vorbei. Jetzt hat sie sechs Kinder, die Enkel studieren Ingenieurswesen oder Tiermedizin ... da ist kein Interesse da. Meine andere Tochter ist eine sehr bekannte Komponistin, sie hat den Spanischen Nationalpreis bekommen. Und die zweite malt sehr gut. Ich hab sie immer machen lassen, was sie wollten.

Haben sie keinen Bezug zu moderner Kunst?

Doch, die haben zu Hause alles hängen, was sie wollen, Nam June Paik, Sigmar Polke ... Wenn sie etwas wollen, dann kriegen sie es geschenkt. Aber irgendwann ist das Haus ja voll.

Sammeln Sie immer noch?

Ja. Zuletzt eine Arbeit von Carmen Herrera, 365.000 Euro, die Leute denken, ich sei verrückt. Die hat gerade im Whitney Museum in New York eine Retrospektive. Die Frau ist 101, die wird nicht mehr lange leben. Ich rufe dann manchmal meinen Freund Manolo Borja an (Leiter des Staatlichen Museums Reina Sofia, Anm. d. Red.) und bitte ihn um Rat.

Da sind sicher viele Steuern angefallen.

Ich bezahle alle Steuern, alle! Die haben schon oft gesucht, aber bei mir finden die nichts. Ich lege immer alles offen und spreche über alles, was soll die Tuschelei! Was ich denke, das sage ich. Ehrlich bis auf die Knochen, das hieß es schon in Deutschland.

Welches Kriterium legen Sie beim Kaufen von Kunst an?

Ich brauche eine Beziehung zu dem Werk. Wenn mir jemand was verkaufen will, das mir nicht gefällt, da kann ich richtig schlechte Laune bekommen. Mir hat immer deutsche und amerikanische Kunst gefallen. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich 1981, da hatte ich gerade bei der Madrider Galeristin Juana Mordó angefangen. Ich sah in Köln die von Kasper König kuratierte Ausstellung "Westkunst": Da gab es einen Kasten mit Schokolade und Mäusen darin und ich dachte: "Was, das ist Kunst?" So begann alles.

Welche Erinnerungen haben Sie an Deutschland?

Keine guten. Ich bin Jahrgang 1936, bin mit der Gasmaske in die Schule gegangen. Jetzt, wo ich alt bin, denke ich immer öfter an meine Kindheit, an die Juden, die versteckt wurden, denen haben wir Essen gebracht. Eines Tages sagte mein Vater „Die Gottschalks sind heute mit dem Zug weggefahren, irgendwann werden sie wiederkommen." Wenn man dann größer wird und weiß, was der Zug bedeutete ...

Das sind so Dinge, die mir durch den Kopf gehen. Das entsetzt mich immer noch. Meine Tochter war zum Beispiel neulich in Auschwitz. Da hab ich sie gefragt „Wie kannst du da hingehen?" - Ja, für sie ist das Geschichte, für mich nicht. Ich hab die Leute gekannt! Das kommt jetzt wieder hoch.

Der Madrilene Santiago Sierra, ein Künstler, den Sie gefördert haben, hat oft den Nationalsozia­lismus thematisiert.

Ja, aber alles lass ich ihm nicht durchgehen. Ich sag ihm immer „Hakenkreuze und so, das lass mir bitte draußen." Mein Großvater wäre beinahe ins Gefängnis gekommen, weil er „Heil Müller" gesagt hat, anstatt Heil Hitler. Wir hießen ja Müller.

Was gefällt Ihnen an Santiago Sierra?

Er ist stark. Er hat hier mit Immigranten gearbeitet, die sich verstecken mussten. Oder in Hannover, da hat er das Museum mit Schlamm vollgemacht. Das war ungefähr so viel, wie die Juden damals ausheben mussten, um den Maschsee zu graben. Das ist eine super Arbeit. Man sieht sofort: Das hat Hitler gemacht!

Warum ist Ihre Sammlung nicht in Deutschland, sondern in der abgelegenen Extremadura?

Das ist ein großes Glück. Das Gebäude in Cáceres wird gerade um 5.000 Quadratmeter erweitert, jetzt hat es 3.000 Quadratmeter, da passt schon was rein. Ich bin in ganz Spanien herumgefahren, keiner wollte die Sammlung haben, das muss man sich mal vorstellen, schließlich hätte ich sie ihnen geschenkt! In San Sebastián habe ich zwei Jahre mit dem Bürgermeister verhandelt. Auch in Kirn an der Nahr war ich, wo ich aufgewachsen bin und noch heute unsere Fabrik steht, aber die haben bloß gesagt: „Was, moderne Kunst?" Auf Mallorca wollte sie auch keiner, obwohl wir viele Leute kannten, wir haben dreißig Jahre im Hotel Illa d´Or in Pollença Urlaub gemacht. Aber es war nichts zu machen.

Was gab den Ausschlag für Cáceres?

Es war reine Sympathie zwischen mir und Rodríguez Ibarra (ehemaliger Ministerpräsident der Extremadura. Anm. d. Red.). Der hat gesagt: „Helga, das bleibt hier." Damals war die Sammlung noch nicht so bedeutend wie heute. Aber er hat das gesehen, na gut, er wollte auch eine Plastikfabrik, die sollte mein Bruder aufmachen. Da hab ich gesagt: „Plastikfabrik? Ihr habt sie nicht mehr alle!" Ihr seid hier die Lunge von Europa, habt den Wald hier, damit müsst ihr Touristen locken. Die Fabrik hat er nicht gekriegt.

Was bereitet Ihnen Freude?

Meine Sammlung zu zeigen. Ich leihe der ganzen Welt Arbeiten. Carl Andre war gerade im Hamburger Bahnhof und geht jetzt nach Paris. Dann 137 Werke in der Pinacoteca de São Paulo, Candida Höfer, Thomas Demand, Barnett Newman, der war für mich immer der Beste, oder Morris Louis, den kann man sich heute ja nicht mehr leisten. Die Brasilianer wussten gar nicht so recht, wer das alles ist. Das heißt, du hilfst mit, die Kunst weiterzutragen.