Hunderteins Jahre klebte die Zeitung an der Wand der Erdgeschosswohnung im Carrer Temple, 11b. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Früher wurden häufig Zeitungen benutzt, um die Luftfeuchtigkeit zu reduzieren, die praktisch alle alten mallorquinischen Häuser plagt. Doch diese Zeitung war anders. Sie stammte aus Italien.

„Il Secolo" heißt sie, die Ausgabe vom 15. August 1915. Europa befindet sich im Krieg. Es ist drei Monate her, dass Italien den Auseinandersetzungen beigetreten ist. Wie kommt in dieser Zeit eine italienische Zeitung nach Palma?

Diese Frage stellte MarisaAldeguer sich, als sie bei der Restauration der Räume ihrer Galerie Ma auf das Exemplar stieß: die fast komplett erhaltene Titelseite, dazu Fragmente der anderen Seiten. Die Galeristin gab die Frage an zwölf Künstler weiter. Das Ergebnis ist die Ausstellung „Il Secolo", die erste in der neuen Galerie.

Die Räume sind verwinkelt. Es ist eng. Genauso hatte sich Aldeguer das vorgestellt. Sie hat Kunstgeschichte studiert und in den vergangenen jahren immer wieder als unabhängige Kuratorin gearbeitet. Eigentlich istsie als Designerin bei der Glasbläserei Gordiola in Algaida beschäftigt. Doch die Liebe für die Kunst begleitete sie schon von früh an. „Ich wollte schon immer eine Galerie betreiben."

Eigentlich wollte Aldeguer ihre Galerie mit einer Ausstellung über das Meer eröffnen, doch die Zeitung kam dazwischen. „Ich habe die beteiligten Künstler in der Galerie versammelt und jedem ein Stück Zeitung gegeben, das wir aus der Wand geholt hatten. Sie sollten damit machen, was immer sie wollten."

Herausgekommen ist eine bemerkenswerte Vielfalt in der Interpretation der Thematik. Während Künstler wie Juan Rodal und José Luis López Moral das Zeitungsstück direkt in ihre Arbeiten einbauen, gehen Carolina Amigó oder Irene Casas abstrakter vor und fokussieren sich allgemein auf die Thematik des Krieges. Amando Orellana und Aina Cortés hingegen beziehen sich in ihren Arbeiten auf aktuellere Konflikte. Während Cortés Bezug auf den jugoslawischen Bürgerkrieg nimmt, präsentiert Orellana bunte Zeichnungen, die sich mit den Flüchtlingen des Krieges in Syrien­ auseinandersetzen.

Eine gänzlich andere Herangehensweise verfolgt Andrés Planas. Er beschäftigte sich gerade mit alten Fotografien, als Aldeguer ihn kontaktierte. Die Bilder, die in Frankreich entstanden, zeigen Menschen mit ­diversen Krankheiten, die der Künstler verfremdet und ihnen damit einen bizarren ironischen Unterton gibt. Planas stellte fest, dass die Bilder ebenso wie die Zeitung aus dem Jahr 1915 stammen. Und so integrierte er sein Zeitungsstück in die Arbeit.

Und auch der Ausgangspunkt der Ausstellung ist zu sehen: die Titelseite von „Il Secolo". Wenn man mit dem Finger über das überraschend dicke Papier streift und die Schlagzeilen überfliegt, versteht man, warum die Galeristin so fasziniert von ihrem Fundstück war.

Aldeguer will auch in Zukunft auf eine breite Mischung an Stilen setzen und legt bei den Künstlern weniger Wert auf große Namen. „Ich möchte, dass die Galerie ein Ort des Dialogs wird. Junge Künstler sollen eine

Chance bekommen, ihr Talent zu zeigen." Das meint sie durchaus ernst: Der jüngste in der Ausstellung vertretene Künstler ist Alex Sobrón. Der 16-Jährige zeigt mehrere Collagen und Installationen.

Gleichzeitig soll die Galerie Ma auch die Möglichkeit bieten, dass Kunstsammler, die am Anfang ihrer Sammeltätigkeit stehen, eine Möglichkeit bekommen, sich in einem Raum zu bewegen, in dem sie ihren eigenen Geschmack entwickeln können. „Wir müssen die Galerie ent­mystifizieren", sagt Aldeguer. „Viele denken immer noch, man dürfe nicht reden, wenn man in einer Galerie ist. Aber das hier ist keine Kirche."

Noch bis Ende Januar sind die Arbeiten zu „Il Secolo" zu sehen. Ab dem 2.2. zeigt Aldeguer dann die Ausstellung zum Meer. „Es ist eine Neuinterpretation des Gedanken des Mare Nostrum aus dem Alten Rom, nur dass wir es nicht nur aufs Mittelmeer beziehen, sondern alle Meere der Welt mit einschließen."