Über die Ausmaße wird man sich erst klar, wenn man davor steht. 16 Meter ragen die Keramikplatten in die Höhe. Insgesamt 300 Qua­dratmeter sind mit christlichen Symbolen wie Fischen und Brot gestaltet, dazu eine sich fast gespenstisch im Zentrum materialisierende Jesusfigur. Darüber die grauen, fast schwarzen Fenster, durch die nur spärlich Licht eindringt. Miquel Barcelós Gestaltung der Sankt-Peter-Kapelle in der Kathedrale La Seu beeindruckt. Nun ist es zehn Jahre her, dass sie nach siebenjähriger Arbeit fertiggestellt wurde. In Konferenzen und Podiumsdiskussionen war das vergangene Woche Anlass genug, über das Werk zu diskutieren, das bei Kirchenleuten und Denkmalschützern lange Zeit nicht gerade auf Sympathie stieß.

Der Kunstkritiker Enric Juncosa etwa betonte, die Arbeit in der Kapelle sei Barcelós Chance gewesen, sich mit den ganz großen Vorbildern zu messen, Michel­angelo oder Goya. Der Madrider Universitätsprofessor Fernando Castro Flórez sagte: „Die Idee, dass Kunst einen religiösen Ort entweihen kann, halte ich für falsch. Das enge Verhältnis zwischen Kunst und Religiösität besteht schon sehr lange." Und die Kunsthistorikerin Mercé Gambús von der Balearen-Universität UIB hob die Bedeutung der Veränderungen hervor. „Im Gegensatz zu anderen Kathedralen in Europa wurde La Seu nie beschädigt. Das ist ein Problem. Normalerweise kann man keinen Nagel einschlagen, ohne vorher eine Studie zu absolvieren." Die Kathedrale dürfe nicht zu einem Lager für alte Kunst werden, sie müsse sich im Wandel befinden.

Um diesen Wandel in die Tat umzusetzen, mietete sich Barceló Anfang der Nuller-Jahre in ein ehemaliges Kloster in der Nähe von Neapel ein. Zusammen mit dem jungen Keramiker Vicenzo Santoriello fertigte er eine Kon­struktion an, die ihm erlaubte, das Wandbild von beiden Seiten zu bearbeiten. Dabei ging es alles andere als zimperlich zu. Berichten zufolge bearbeitete Barceló den Ton mit vollem Körpereinsatz: mit Fußtritten, Fausthieben, schmerzendem Kratzen, aber auch mit Streicheln über das teils glatte, teils raue Material. „Um die Handballen der Jesusfigur zu formen, habe ich meine Fingerabdrücke verloren. Ich habe die Ballen kratzend und schabend geformt. Dabei hat mir der Ton die Finger geschält", sagte er 2007 der Presse.

Dass Barceló überhaupt dazu kam, die Kapelle zu gestalten, dürfte wohl seiner charmanten Dreistigkeit zugeschrieben werden. Bereits in den 80er-Jahren, so berichtete es der Schriftsteller Biel Mesquida 2007 in der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca", habe Barceló damit geprahlt, mal in der Kathedrale ausstellen zu wollen. Als ihm die Balearen-Universität im Jahr 2000 die Ehrendoktorwürde verleihen wollte, fand Barceló das zwar nett, sagte aber, er wolle vorher etwas „Besonderes" machen. Eine Ausstellung in der Kathedrale zum Beispiel. Die UIB verhandelte mit dem Bistum. Zunächst stellte man gemeinsam fest, dass die Kirche kein guter Ausstellungsraum ist - um dann den Künstler mit der Gestaltung einer Kapelle zu beauftragen. Teodoro Ubeda, der Bischof, der sein Placet gab, verstarb bereits 2003. Auf seinen Wunsch wurde er in der Barceló-Kapelle bestattet.

Zur Eröffnung im Jahr 2007 reiste viel Prominenz an, sogar das damalige Königspaar ließ es sich nicht nehmen, dem feierlichen Gottesdienst beizuwohnen. Nur Barceló selbst schwänzte die Show. Er sei Atheist, Messen nicht so sein Ding. Im Bistum wurden nach dieser Ankündigung Beruhigungstabletten wie Tictacs konsumiert. Zu einem offenen Eklat kam es aber nicht. Das mag auch daran gelegen haben, dass man vonseiten der Kirche an der Interpretation der religiösen Motive nichts auszusetzen hatte und die neu gestaltete Kapelle bei den Besuchern großen Anklang fand.

Nachdem er das Werk vollendet hatte, konnte sich Barceló dann auch einer anderen Zeremonie widmen: Einen Tag vor der feier­lichen Eröffnung nahm er die ­Ehrendoktorwürde der UIB an.