Manche Leute behaupten, die Texte von Joan Miquel Oliver, der wohl bekannteste Pop-Musiker Mallorcas, seien unverständlich. Es sind wahrscheinlich die Leute, die als Gute-Nacht-Lektüre Gebrauchsanweisungen für Heizlüfter lesen. Der ehemalige Gitarrist und Songwriter der Erfolgsband Antònia Font mag zwar eine Neigung zu kontextlosen Aufzählungen haben, zu freien Assoziationen.

Aber seine Songs drücken immer zumindest eine Stimmung aus. Häufig sind sie eine Ansammlung von Bildern und Gedankenfetzen. Als Sammler von Kuriositäten könnte man Oliver bezeichnen. Seit vergangener Woche ist sein mittlerweile viertes Solo-Album „Atlantis“ im Handel. Ebenso wie seine Vorgänger hat es der Musiker ganz allein im stillen Kämmerlein, seinem Tonstudio im Carrer Santa Clara in Palma, entwickelt und aufgenommen.

Das Schicksals des Uhrenmachers

Seine Kopfsprünge in die Welt der Fantasie macht Oliver auch hier. So handelt etwa „Rumba del temps“ von einem Uhrmacher, der den Glauben an die Zeit verliert, als er die Relativitätstheorie kennenlernt. Und dennoch ist etwas anders auf diesem Album. Die Unschuld ist verloren. Oliver ist auf „Atlantis“ an einigen Stellen regelrecht rabiat politisch. Etwa in dem Song „Posidònia“, in dem er die überlaufenen Strände thematisiert. „Wo man nur hinschaut, die Plage Ausländer. (...) Sie haben Eintritt bezahlt, wir sind kleine Zootiere.“ Zum Abschluss der Strophe wünscht er sich gar ein ­Maschinengewehr, um seine Gedanken besser ausdrücken zu können. Auch in Songs wie „La mar treu sabates“ oder „Torneig amistos“ finden sich im Text zumindest Anspielungen auf die Missstände auf der Insel.

Es sagt viel über die Stimmung auf Mallorca aus, wenn sogar jemand wie Oliver in seinen Songs politisch wird. Es ist ein wenig, als würde die Protagonistin aus „Die fabelhafte Welt der Amelie“ anfangen, Steine auf die Polizei zu werfen. Er möge es eigentlich nicht, über derlei Dinge zu singen, bestätigt Oliver in einem Interview mit der Zeitung „Ara“. Er wünsche sich, dass seine Alben eine perfekte Welt darstellen. Diese Songs seien aber von einer gezügelten Wut getrieben.

Atlantis ist ein naheliegender Titel

War das Vorgängeralbum „Pegasus“ von 2015 eine Reise über die Insel, ist das neue Werk eine schonungslose Bestandsaufnahme. Atlantis als untergegangenes Inselreich ist da ein naheliegender Titel. Palma stehe kurz davor, „eine Stadt zu werden, in der man nicht mehr leben kann. So wie Barcelona“, sagte der Musiker in Interviews zur Veröffentlichung des Albums.

Musikalisch ist das Album, dessen Covergestaltung erneut der mallorquinische Künstler Albert Pinya übernommen hat, noch etwas elektronischer als „Pegasus“, aber ebenso poppig. Der Grundgedanke, diese von Arpeggien und verspielten Harmonien geprägte DNA der Songs, bleibt erhalten. Egal in welcher Stilrichtung sich Oliver ausprobiert, sei es Folk, Rumba oder Funk, die Songs machen nebeneinander Sinn und teilen ein gemeinsames Klangbild. Da kann es auch schon mal fast euphorische Ausbrüche geben, wie etwa der Synthesizer beim Titelsong „Atlantis“, der wie eine Referenz auf den Indiehit „How Deep Is Your Love“ von The Rapture wirkt. Hier und da lässt er mit einer verzerrten Gitarre die in den Texten ausgedrückte Wut in die Musik einfließen.

Trotz Olivers bedingungslosem Bekenntnis zum Pop erschließt sich das Album erst nach mehrmaligem Hören. Es lässt sich also nur schwer sagen, ob sich ein echter Hit darauf befindet, wie etwa „Flors de cactus“ auf dem Vorgänger „Pegasus“, oder Klassiker wie „Hansel i Gretel“ und „Dins un avió de paper“. Die beiden Singles „Atlantis“ und „Rumba del temps“ zumindest hätten durchaus das Zeug dazu.