Heute hätte man einen Begriff für einen dieser jungen Typen, der da auf dem Bild am Eingang der Ausstellung des CaixaForum zu sehen ist. Lässig auf der Bank, Schnurrbart, Kippe in der Hand, modisch gekleidet, daneben das moderne englische Fahrrad. Hipster. Es zeigt den 33-jährigen Ramon Casas, gemalt von seinem Freund, dem Künstlerkollegen Santiago Rusiñol. Es ist das Jahr 1899, aber es ist der Realismus, der Detailreichtum, der dieses Bild zu einem angemessenen Einstieg in die faszinierende Ausstellung „Ramon Casas - La modernidad anhelada" (Die ersehnte Modernität) macht.

Rusiñol spielt eine wichtige Rolle in dieser Retrospektive, die den charmanten Grundsatz hat, das Leben und Wirken von Casas in einen geschichtlichen und kulturellen Kontext zu setzen. So gibt es neben den Malereien des 1866 in Barcelona geborenen Sohnes einer wohlsituierten Familie auch Arbeiten von Künstlern, die ihn beeinflusst haben, oder die durch ihn inspiriert wurden. Neben seinem Freund Rusiñol unter anderem auch Picasso oder sein erster Lehrer, Carolus-Duran. „Bisher wurde Casas, einer der wichtigsten spanischen Maler, als für sich stehendes Ereignis der Geschichte dargestellt", sagt der Kurator der Ausstellung, Ignasi Domènech. Das habe man ändern wollen. Dafür habe man 88 Malereien, davon 30 von anderen Künstlern, und 40 Fotografien zusammengetragen.

Er zeichnete den jungen Picasso

15 Jahre alt war Casas als er nach Paris ging, um bei dem großen Meister zu lernen. Casas war der einzige Maler seiner Generation, der nicht in Spanien lernte, und doch Lehrer hatte, die wie besessen waren von Goya und Velázquez. Doch die Wende zum 20. Jahrhundert war viel zu aufregend, als dass sich einer wie Casas damit hätte zufriedengeben können, einfach nachzumachen. Er versuchte, seine Realität abzubilden.

So zeichnete er etwa 200 Porträts von Menschen in Barcelona, die ihn interessierten. Sie mussten dafür nicht einmal berühmt sein. Auch der junge Pablo Picasso war dabei. Und immer wieder malte er sich selbst, als Torero verkleidet, als Zeichnung, als Gemälde, allein oder mit seinem Kumpel Rusiñol. Im Eingangsbereich der Ausstellung finden sich in dem Sinne mehr Selfies als in einem durchschnittlichen Instagram-Accout.

Zusammen mit Rusiñol lief er in irgendwelche Gassen, malte die ­hässlichen und dreckigen Orte der Städte statt Palästen und Prachtboulevards. Und er ließ sich von Fotografien inspirieren.Kurz danach explodierte eine Bombe

Eines der bemerkenswertesten Bilder in der Ausstellung ist ein großformatiges Gemälde, das eine Corpus-Prozession in Barcelona zeigt. Kurz nach der Szene, die das Bild zeigt, risst eine von Anarchisten gelegte Bombe zwölf Menschen in den Tod. Ein anderes zeigt öffentliche Hinrichtungen, die bis Mitte der 1890er-Jahre in Barcelona alltäglich waren. Immer wieder behandelte Casas diese sozialen Themen, er bezog aber auch nicht eindeutig Stellung. Er war kein Aktivist, sondern eher Beobachter.

Spannend ist aber die Bildsprache, die er aus der Fotografie übernahm. 1888 wurde der erste Fotofilm erfunden, der die Glasplatten ablöste. Das erlaubte eine leichtere Fotografie von Ereignissen auf der Straße. Casas übernahm die Bildsprache der Pressebilder, brach mit den bis dahin geltenden Regeln der Bildkomposition. Selbst zur Kamera griff eraber nicht.

Ein Verständnis von Boheme

Generell blieb er der Malerei treu. Er war kein Intellektueller wie sein Freund Rusiñol. Aber gleichzeitig förderte er ein neues Verständnis von Kultur. „Casas wollte die Kultur von ihren Randgebieten aus erkunden", sagt Kurator Domènech. Es war ein Verständnis von Boheme, das er aus Frankreich mitgebracht hatte. Er finanzierte unter anderem das Avantgarde-Magazin „Pèl i ploma". Geld dafür hatte er. Durch seine Arbeit als Künstler und als Gestalter von (häufig durch Toulouse-Lautrec inspirierten) Werbeplakaten, war er spätestens ab seinem 20. Lebensjahr ökonomisch unabhängig.

Was Kultur war, die es wert war, abgebildet zu werden, wollte er schon selbst bestimmen. Er, der Junge aus gutem Hause, ging in die Stierkampfarenen, er besuchte Boxkämpfe, das Entertainment der niederen Klassen, wie den Zirkus. Auf einem Bild sieht man eine Frau, die allein tanzt. Und das auch noch großformatig, was eigentlich dem Adel vorbehalten war. „So etwas wurde zuvor nicht gezeigt", sagt Domènech. „Das muss man sich mal vorstellen: eine Frau, die allein tanzt." Bestimmt habe sie auch geraucht, ergänzt er lachend.Ein modernes Frauenbild

Generell zeigte Casas Frauen in einem anderen Licht. Er bildete sie als Individuen ab, die lesen, die rauchen, die Auto fahren (Casas war ein Autofanatiker, sein Auto in Barcelona hatte das Kennzeichen 6). „Es würde vielleicht zu weit gehen, ihn als Feministen zu bezeichnen, dafür war er zu wenig kämpferisch in seiner Botschaft. Aber Casas hat sehr darauf geachtet, ein modernes Frauen­bild zu vermitteln."

Die wichtigste Frau in seinem Leben kommt dann ganz am Ende der Ausstellung. Julia Peraire, seine langjährige Freundin, der er kennenlernte als er 39 und sie 17 Jahre alt war. Sie stammte aus einer armen Familie, verkaufte Lotterielose. Die hohe Gesellschaft Barcelonas akzeptierte die Beziehung so wenig wie Casas' Familie. Trotzdem blieben sie zusammen und nach 21 Jahren heirateten sie sogar. „Das zeigt noch mal, welche Freiheiten sich Casas herausnahm", sagt Kurator Domènech.

Ramon Casas - La modernidad anhelada, CaixaForum Palma, bis 22.10.