Von Karl Hofer

MZ-Reporter und

Ex-Cheffotograf der Neuen Zürcher Zeitung

Sie lesen hier kein modernes Inselmärchen, sondern eine wahre Geschichte aus dem ländlichen Mallorca unserer Tage. Hauptdarsteller: die Bauernfamilie Vicens in Binibona sowie weitere wagemutige Personen. Beginn der Handlung: 1990.

Die Vicens besaßen damals in der wildromantischen Tramuntana gut 50 Hektar Land mitsamt einem schon fast zur Ruine verkommenen Landgut. Die landwirtschaftlichen Erträge des steinigen Berglandes waren so ungenügend, dass sich davon mehr schlecht als recht leben ließ. Deshalb pachtete die Familie in Caimari besser geeigneten Landwirtschaftsboden, und Vater Sebastián Vicens suchte den unrentablen Bergbesitz abzustoßen. Doch Käufer meldeten sich nicht - was sich als Glücksfall erweisen sollte.

Der heute 38 Jahre alte Sohn Juan Vicens erinnert sich: ýUm 1990 herum begann der Agrotourismus, auf Mallorca stark Fuß zu fassen. Weil wir in der Landwirtschaft keine große Zukunft sahen, erkundigten wir uns und beschlossen nach langen Diskussionen in der Familie, den Versuch zu wagen und unser Landgut in der Tramuntana zum ersten Agrotourismushotel im Gebiet von Selva umzubauen."

Die Vicens spannten mit einem sehr guten Architekten zusammen, legten in dreieinhalbjähriger Bauzeit selber tüchtig Hand an und widmeten sich mit Begeisterung und großem Engagement auch kleinsten Details. Zudem büffelte Juan Vicens bei dem in Caimari wohnenden Bundesbürger Dieter Hannig acht Monate lang jede Woche an drei Tagen je drei Stunden deutsche Sätze und deutsche Wörter. Im Frühjahr 1995 öffnete das Finca-Hotel Albellons seine Türen. Und weil es vom Start weg erfolgreich war, fanden sich rasch Nachahmer. In wenigen Jahren entstanden in der Region Selva zahlreiche weitere Agrotourismus-Fincas oder Kleinhotels in restaurierten ehrwürdigen Dorf- oder Landhäusern.

Andernorts pflegt man sich beim Auftauchen von Konkurrenzbetrieben gegenseitig mit Missgunst und Futterneid zu beäugen. Nicht so in Selva. Hier zeigten sieben dieser Kleinhotelbesitzer erstaunlichen geschäftlichen Weitblick, setzten sich zusammen und gründeten auf privater Basis die Vereinigung ýSom 7" (Wir sind 7). Dazu erläutert Jaime Vives vom C´an Calco in Moscari: ýDie sieben Kleinhotels weisen je zwischen fünf und zwölf Zimmer auf. Der einzelne Betrieb kann also unmöglich spezielle Veranstaltungen für seine Gäste organisieren. Zusammen funktioniert es dagegen gut."

Bisher wurden beispielsweise Weindegustationen, Besuche eines Schlachtfestes oder Wanderwochen mit eingestreuten Besichtigungen durchgeführt. Im kommenden Januar lädt ýSom 7" als Auftakt zu geplanten Mandelblütenwochen einige Journalisten aus ganz Europa zu einem Aufenthalt in die Tramuntana ein. Die staatliche Tourismusorganisation Ibatur übernimmt die Flugkosten dieser Aktion. Was beweist, wie positiv man das Wirken der sieben Kleinhoteliers in Selva an höherer Stelle wertet.

Von Vorteil erweist sich im Übrigen, dass ýSom 7" im Gründungsjahr 2004 alle Bürgermeister der zum Gemeindegebiet von Selva gehörenden Ortschaften zu einem Essen einlud. So lernte man sich gegenseitig kennen, was es heute den Kleinhoteliers erleichtert, gemeinsame Anliegen wie beispielsweise Wegverbesserungen vorzubringen und durchzusetzen. Auf regelmäßigen Arbeitssitzungen besprechen die glorreichen Sieben aus Selva anfallende Probleme, einmal im Jahr treffen sich die Kleinhotelier-Familien zu einem gemeinsamen Essen. Keine Reibereien untereinander? Juan Vicens winkt ab: ýObwohl wir eine doch recht bunt zusammengewürfelte Gesellschaft sind, verstehen wir uns gut. Konkurrenz machen wir uns nicht, da jeder Betrieb seine eigene individuelle Atmosphäre und seine Spezialitäten hat." Beispielsweise waren die beiden Besitzer des C´an Calco früher in der Bucht von Alcúdia Berufsfischer. Ihre Küche ist deshalb speziell auf Fisch und Meerfrüchte ausgerichtet. In den Monaten Mai bis August organisieren sie zusammen mit befreundeten Berufsfischern in Alcúdia größere oder kleinere Fischfang-Exkursionen mit professionellen Fischerbooten. Kein Wunder also, dass in diesem Kleinhotel zahlreiche Hamburger mit ihrer engen Beziehung zum Meer zu den Stammgästen zählen.

Im Kleinhotel C´an Furiós verkehren dagegen mehrheitlich englische Stammgäste. Und das mit Grund, wie Chef Adrian Bertorelli gesteht: ýIch bin ein in London aufgewachsener Italiener. Und auch meine Frau Susy fühlt sich, obwohl in Galicien geboren, als Engländerin. Wir haben in der englischen Hauptstadt lange ein Restaurant geführt. Doch weil der Stress von Jahr zu Jahr größer wurde, wechselten wir nach Mallorca und bauten im Dörfchen Binibona, das nur 20 Einwohner zählt, eine Ruine zu unserem heutigen kleinen Paradies um. Viele unserer ehemaligen Londoner Restaurantkunden gehören seit der Eröffnung zu unseren Hotelstammgästen."

Im wildromantischen Fincahotel Albellons von Juan und Francisca Vicens Fiol, in dem an den Vormittagen eine Schweizerin an der Rezeption arbeitet, trifft man mehrheitlich Deutsche, Schweizer, Österreicher, Luxemburger, Holländer und Skandinavier. Die Interessen dieser internationalen Gäste sind breit gefächert. Die einen spielen Golf auf den Plätzen der Region, andere buchen Reitausflüge in einer nahen Finca oder Tauchwochen in der Bucht von Alcúdia. Das Gros jedoch wandert, ruht sich aus, genießt die Tramuntana-Natur - und nach den Ausflügen die ländliche mallorquinische Küche.

Juan Vicens hatte in dieser Beziehung dazuzulernen, wie er lächelnd gesteht: ýIch stellte mir als Sohn einer mallorquinischen Bauernfamilie vor, man müsse der internationalen Gästeschar eine möglichst internationale Menükarte anbieten. Doch meine für die Küche zuständige Mutter legte sich quer und weigerte sich konsequent, etwas anderes als mallorquinisches Essen aufzutischen. Weshalb ich der Eröffnung an Ostern 1995 mit einigem Bangen entgegensah." Doch dann erlebte Juan Vicens sein eigentliches Osterwunder: Die einheimischen Speisen kamen hervorragend an. Elf Jahre später sind sie noch immer ein wichtiger Pluspunkt in diesem und ebenso in den anderen Kleinhotels der Gruppe.