Von Karl Hofer

MZ-Reporter und ehemaliger Leiter der Fotoredaktion der NZZ

Süßigkeiten liebende (erwachsene) Schleckmäuler sind in den Insel-Restaurants mit einheimischer Küche nicht überall gut aufgehoben. Häufig beschränkt sich das Nachtischangebot auf Eis, Pudding oder Mandeltorte. Zudem pflegen leider in (allzu) vielen dieser Lokale Herr Gastwirt oder Frau Gastwirtin aus Bequemlichkeit oder mangels Kreativität gefrorene Desserts grundsätzlich von großen Speiseeisfabriken zu beziehen, den Pudding oder die crema catalana mit Tütchenpulver anzurühren und Mandeltorten aufzutischen, die so staubtrocken wie Wüstensand daherkommen.

Glücklicherweise gibt es überall auf der Insel auch das Gegenteil: also einheimische Lokale mit verlockendem Dessertangebot. Für nicht wenige spanische und ausländische Besucher dürfte das Jaime Cañellas gehörende ýSa Sini" in Santa Maria del Camí zu den süßesten Mosaiksteinen in der mallorquinischen Nachtischlandschaft zählen. Dass in diesem von 400 Jahre alten Mauern eingefassten Restaurant jeder Gast sein Essen mit einem süßen Finale ganz nach seinem Geschmack abschließen kann, ist Gattin Andrea zu danken. Sie stellt an jedem Wochentag mindestens 15, von Freitag bis Sonntag täglich gar über 20 verschiedene Torten her, die zum guten Ruf des Lokales viel beigetragen haben.

ýVom Kuchenbacken stand anfangs allerdings nichts in meinen Sternen geschrieben", sagt Andrea. Und sie erzählt von sich: ýMein Vater ist Mallorquiner und wanderte schon in jungen Jahren mit seinen Eltern nach Frankreich aus, Mutter ist Französin. Ich wuchs in der französischen Stadt Nantes auf, besuchte eine Handelsschule sowie zusätzlich Kurse in Buchhaltung."

Schritt in die Selbstständigkeit

Als Andrea 19 Jahre alt war, durfte sie ihre Mutter, die temporär in Port d´Andratx die Leitung eines französischen Restaurants übernehmen konnte, nach Mallorca begleiten. Zum ersten Mal in ihrem Leben betrat sie die Insel. Und weil ihr die Heimat ihres Vaters sehr gut gefiel, suchte Andrea eine Stelle und fand sie in einer Bäckerei in Peguera. Mit großer Begeisterung arbeitete sie sich ins Konditoreifach ein und bildete sich neben der täglichen praktischen Backstubenarbeit in Kursen und anhand von Fachliteratur weiter aus. Fast ein Jahrzehnt lang backte sie später für das direkt an Pegueras Fußgängerpromenade liegende Café Francine täglich zahlreiche Torten. Dann wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit und führte mehrere Jahre ein eigenes Café - natürlich mit vielfältigem leckeren Kuchenangebot.

Zusammen mit Tochter Margot aus der zweiten Cañellas-Generation entschloss sich die initiative Frau 1996, das im Familienbesitz befindliche und bis dahin verpachtete ýSa Sini" zu übernehmen. Das war vor elf Jahren - heute essen täglich gut 250, an Sonntagnachmittagen manchmal bis zu 280 Personen in diesem mallorquinischen Lokal. Zu den Torten für das Restaurant backt Andrea auf Bestellung regelmäßig auch zusätzliche für Privatleute. Und sie stellt dazu nicht ohne Stolz fest: ýUnser Tortenumsatz ist jetzt größer als der in etlichen kleinen und mittleren Konditoreien der Region."

Internationale Lieblingstorten

Dieser Erfolg kommt natürlich nicht von ungefähr: Jeden Morgen pünktlich um 6.30 Uhr beginnt Andrea mit ihrer süßen Arbeit. Mit geradezu atemraubender Geschwindigkeit und mit nachtwandlerischer Präzision mischt sie die Zutaten, zerquetscht mit dem Wallholz Walnüsse, lässt im Wasserbad Schokoladenmasse schmelzen, verrät zwischendurch, dass sie aus Qualitätsgründen für die verschiedenen Schokoladentorten-Varianten ausschließlich braunen Zucker und Vollkornmehl verwende, schneidet Feigen in Scheiben, legt sie auf Blätterteig aus und überwacht mit einem Auge stets den Backfortschritt in den Öfen.

Welche Torten stehen in der Gunst der Gäste am höchsten?

Andrea: ýFür viele unserer deutschen Stammkunden ist die Feigen- oder die Erdbeertorte erste Wahl. Bei den Engländern steht eine spezielle Schokoladentorte mit Karamell, Bananen und Schlagsahne hoch im Kurs, dazu der süße Käsekuchen mit Blaubeeren. Die Franzosen greifen dagegen mehrheitlich zu den verschiedenen Früchtetorten, die das Jahr über je nach dem aktuellen Früchteangebot wechseln."

Bei allen Gästen gleichermaßen beliebt: Das von Andrea mit Baileys abgerundete Tiramisu, die verschiedenen Schokoladenkuchen und natürlich die Mandeltorte, dieses von vielen Möchtegern-Bäckern so sehr misshandelte Urgestein der mallorquinischen Nachspeisen. Andrea verrät dazu: ýIch stelle meine Mandeltorten gemäß den überlieferten Rezepten nur mit Eiern, Zucker, geriebenen Mandeln, dem Abrieb von Zitronenschalen sowie etwas Zimt her, also ohne jedes Fett und ohne Mehl. So behalten sie inwendig die gewünschte leichte Feuchtigkeit."

Schnellste Bäckerin des Landes

Nach dem morgendlichen Backen wechselt Andrea zur Mittagszeit im Restaurant in die Rolle der umsichtigen Gastgeberin, die geschickt und unauffällig einen Stab von sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dirigiert. Dass sie ihre schlanke Linie behalten konnte, obwohl sie nach eigenem Bekennen Torten nicht nur gerne herstellt, sondern sie nach wie leidenschaftlich gerne isst, hat seinen triftigen Grund: Andrea ist in ihrer Freizeit eine auf Laufdisziplinen spezialisierte talentierte Sportlerin. Beispielsweise gewann sie vor gut zwei Jahrzehnten das über 20 Kilometer führende Rennen Palma-Valldemossa, zweimal beendete sie Cross-Country-Läufe über fünf Kilometer auf Mallorca als Siegerin.

Im vergangenen Jahr wurde sie bei den nationalen Leichtathletikmeisterschaften in Murcia in der Veteranenklasse gar zur spanischen Meisterin über 1.500 Meter ausgerufen - womit sie wohl auch den Titel der schnellsten Kuchenbäckerin des Landes für sich beanspruchen dürfte.