Von Frank Feldmeier

Das Porträt von Ferdinand VII. war noch gar nicht fertig. Doch eine Gruppe Jugendlicher zerrte das Gemälde des von Napoleon abgesetzten spanischen Königs aus Palmas Rathaus und trug es an jenem

28. Mai 1808 in einer Art Prozession zum Almudaina-Palast, um es dort auszustellen. Gleichzeitig wetterte Mallorcas Bischof Bernat Nadal gegen die Franzosen: ýWollt ihr zulassen, dass die Horden eines Monsters Tempel plündern, Altäre entweihen und unsere Priester verfolgen?"

Mallorca stand dem patriotischen Taumel im restlichen Spanien in nichts nach, nachdem französische Truppen im Frühjahr 1808 das Festland besetzt hatten. König Karl IV. hatte Napoleon zuvor im Vertrag von Fontainebleau erlaubt, durch Spanien zu marschieren, um gegen Portugal mobil zu machen und die strategisch so wichtige Kontinentalsperre gegen England durchzusetzen.

Nach dem Einmarsch überstürzten sich die Ereignisse: Karl IV. musste zunächst zugunsten seines Sohnes Ferdinand VII. abdanken, der gegen ihn intrigiert hatte. Napoleon nutzte das dynastische Chaos: Er schusterte die spanische Krone seinem Bruder Joseph Bonaparte zu und demontierte das absolutistische System. Das Volk wiederum akzeptierte keinen Franzosen-

König. Es erhob sich am 2. Mai vor genau 200 Jahren in Madrid gegen die Besatzer - der Spanische Unabhängigkeitskrieg begann.

Spanien feiert das Jubiläum in diesen Wochen unter anderem mit einer Ausstellung im Madrider Prado, mit Bildern von Francisco Goya. Die Kämpfe, Aufstände und Hinrichtungen aus der Hand des Genies sind allerdings nicht repräsentativ für Mallorca: Die Insel blieb unbesetzt.

Doch die Mallorquiner beteiligten sich an dem Kampf. Die Insulaner erklärten in einem Feierakt vor Palmas Rathaus den Franzosen den Krieg, sammelten Gelder und rekrutierten Soldaten. Die Insel wurde zudem zum Fluchtziel: In den sechs Kriegsjahren kamen rund 40.000 Festland-Spanier auf die Insel - angesichts der damaligen Bevölkerungszahl Mallorcas von 135.000 eine gewaltige Zahl. ýAuch wenn die französischen Truppen die Insel nicht einnahmen, wurde Mallorca von denjenigen besetzt, die vor den Truppen flüchteten", schreibt die Historikerin Isabel Moll. Folge: Die Preise stiegen, Wohnraum wurde knapp, neue politische Ideen schwappten auf die Insel.

Denn es ging nicht nur um den Kampf zwischen Franzosen und Spaniern. Den tobenden Guerilla-Krieg überlagerten Konfliktlinien innerhalb Spaniens - spanische Patrioten standen Anhängern der französischen Reformideen gegenüber, den sogenannten Afrancesados. Und Liberale, die politische Reformen ohne die Franzosen hinbekommen wollten, brachten sich gegen Anhänger der alten absolutistischen Herrschaft in Stellung. ýEs gab nicht zwei, es gab viele Spanien", fasst Josep Juan Vidal, Historiker an der Balearen-Universität, das Chaos zusammen, das die spanische Geschichte des gesamten 19. Jahrhunderts prägt. Eine Herausforderung für jeden Geschichtsstudenten: Bis zum Beginn des Spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1936 sollten sich weit über hundert Regierungen abwechseln, hinzu kommen zahllose Verfassungen und Regime, Attentate und Entthronungen.

Dass 1808 die Herrschaft der Bourbonen in Spanien ein abruptes Ende fand, war für die meisten Mallorquiner ein Grund zur Freude: Premierminister Manuel Godoy war verhasst, ebenso sein Finanzminister Miguel Cayetano Soler, der von der Insel stammte und seinen Familien-Clan mit wichtigen politischen Posten versorgt hatte. Um einen Bankrott des maroden Regimes abzuwenden, hatte Soler saftige Steuern eingeführt und damit den Zorn der Mallorquiner geschürt. Im Mai 1808 war der Moment der Rache gekommen: Die Menge stürmte die Häuser der Günstlinge und verbrannte deren Hab und Gut auf dem Paseo del Borne in Palma.

Die politischen Häftlinge verließen die Gefängnisse - der Platz wurde jetzt für Franzosen gebraucht. Rund 9.000 Kriegsgefangene wurden zudem auf Mallorcas Nachbarinsel Cabrera festgesetzt. Zwei Drittel von ihnen sollten schließlich an Hunger und Krankheit sterben. Die Engländer dagegen - Feinde seit Jahrzehnten - wurden unverhofft zu Verbündeten.

Das entstandene Machtvakuum auf Mallorca füllte eine Junta-Regierung. Sie schickte Delegierte ins ebenfalls unbesetzte Cádiz, wo bis 1812 eine liberale Verfassung ausgearbeitet wurde. Im liberalen Klima Mallorcas kamen neue Zeitungen auf den Markt, darunter der Vorgänger der MZ-Schwesterzeitung ýDiario de Mallorca". Die Macht der Inquisition war gebrochen.

Das liberale Intermezzo dauerte jedoch nicht lange: Napoleon geriet trotz seines 200.000-Mann-Heeres in die Defensive, als 1812 der Russland-Feldzug begann. Der Sieg der Spanier 1814 brachte die Rückkehr zum Absolutismus. Ferdinand VII. kehrte aus französischer Gefangenschaft zurück und erklärte staatsstreichartig die Verfassung für ungültig. ýEine bittere Erinnerung", urteilt der Journalist Carlos Garrido, ýdas Volk hatte sich im Namen eines unwürdigen Königs erhoben."

Nächste Woche: Das Schicksal der französischen Gefangenen auf der Insel Cabrera