Der blaublütige Habsburg-Spross Ludwig Salvator gilt als touristischer Vor- und Schwerarbeiter Mallorcas. Er lebte viele Jahre auf der Insel, erforschte sie mit deutsch-österreichischer Gründlichkeit, publizierte viel über sie und animierte damit ab Ende des 19. Jahrhunderts bekannte Schriftsteller, Dichter, Maler, Bildhauer, Musiker und reiche Industrielle aus vielen Ländern ebenfalls zu Aufenthalten auf der größten der Baleareninseln. Für Normal­sterbliche blieb La Luminosa (die Leuchtende) als Reiseziel allerdings noch Jahrzehnte lang bloß Wunschtraum – bis sie 1955 von den ersten Charterflugketten ins Visier genommen und damit das Zeitalter des Bade-Massentourismus eingeläutet wurde.

Sonne, Sand und Meer bilden gut 60 Jahre später für Millionen von Mallorca-Neuentdeckern noch immer die Hauptattraktion. Viele haben jedoch längst auch das Hinterland und die Tramuntana-Bergregion ins Herz geschlossen und strahlen vor allem in der Vor- und Nachsaison mit dem Auto, dem Fahrrad oder auf Schusters Rappen zu Exkursionen aus. Ob man sich dabei auf Haupt- oder Nebenstraßen, verwinkelten Dorfgassen, Fußgängerwegen oder gar auf uralten Gebirgs-Trampelpfaden bewegt: Entlang aller dieser Lebensadern Mallorcas lässt sich lauter oder leiser der Herzschlag einer Insel spüren, die sich in einem halben Jahrhundert fast beängstigend stark gewandelt hat – wie an Begegnungen am Wegrand deutlich abzulesen ist.

Sollten Sie im Inselwesten urplötzlich wild in die Luft ballernde Männer vor sich sehen, handelt es sich nicht etwa um den schießfreudigen früheren spanischen Justizminister Mariano Fernándo Bermejo und seine Kollegen. Vielmehr sind es von Jägervereinigungen unterstützte Angestellte von Gemeindeverwaltungen, die Jagd auf die Nester der Prozessionsspinnerraupe in den Kiefern machen. Allein für das Gebiet von Marratxí wurden heuer 25.000 Patronen bereitgestellt und bisher vor allem in Privatgärten verschossen, weil gemäß den örtlichen Umweltschutz-Verantwortlichen durch das (nicht unumstrittene) Besprühen der öffentlichen Zonen mit einem organischen Mittel aus der Luft der Schädling weitgehend eliminiert werden konnte. Armee als Nutznießer Die beängstigend steigenden Arbeitslosenzahlen macht sich die spanische Armee zunutze. Kürzlich waren Uniformierte des seit über 120 Jahren bestehenden leichten Infanterieregiments Palma 47 auf einer Werbetour durch alle Siedlungen der Insel unterwegs und luden junge Einheimische im Alter von 18 bis 28 Jahren zur ­Berufsmilitär-Laufbahn in der Infanterie oder in einer Spezialeinheit ein. Mit Erfolg, wie uns der Sprecher an einem solchen mobilen Werbestand erläuterte: „Es haben bisher erfreulich viele Männer und Frauen unterschrieben." Sie treten demnächst zur dreieinhalb Monate dauernden Grundausbildung in die spanische Armee ein, in welcher der Frauenanteil – auch ein Zeichen einer neuen Zeit – in den vergangenen Jahren steil auf rund 20 Prozent gestiegen ist.

Himmel und Hölle liegen bei den Zitrusfrüchten nahe beieinander. Einst waren die Mallorquiner Pioniere im Apfelsinenanbau. Ihre von Sóller auslaufenden Orangensegler brachten Reichtum ins Tal. Doch neu angelegte große Zitruskulturen an der spanischen Festlandküste und in anderen Ländern begannen rasch, Konkurrenz zu machen. Heute besteht sowohl bei den Apfelsinen als auch bei den Zitronen ein weltweites erdrückendes Überangebot, was zu einem ruinösen Preiskampf führt. Weil sich häufig die Pflückkosten kaum mehr decken lassen, verzichten viele Landwirte auf das Ernten der Früchte. Im Talkessel von Sóller verfaulen pro Jahr mehrere hundert Tonnen Zitronen und Apfelsinen. Was viele Touristen erzürnt und nachdenklich macht. Sie begreifen nicht, warum es nicht möglich sein soll, diesen Fruchtsegen mit großzügiger staatlicher Unterstützung und beispielsweise mit der Hilfe von Arbeitslosen zu ernten, zu Saft zu verarbeiten oder anderweitig zu konservieren und später preisgünstig oder kostenlos an Notleidende abzugeben.

Für fotografierende Touristen sind die weidenden Schafe ein beliebtes Sujet – den Haltern machen die Tiere heute weniger Freude. Das aus Neuseeland und Australien eingeführte billigere Lammfleisch sowie die durch den Bauboom stark geschrumpften Weideflächen machen trotz EU-Subventionen die Schafhaltung auf Mallorca heute weitgehend unrentabel. Die Bestände schwinden. Beispielsweise sind die früher von Hirten begleiteten großen Wanderherden mit tausend oder mehr Tieren bis auf drei oder vier fast vollständig verschwunden. Gemäß der Veterinärin Águeda Pons besitzen die heutigen sesshaften Züchter im Durchschnitt lediglich 40 bis 60 Schafe, die sie nicht selten auf stark zerstückelten Parzellen halten.

Die Weiden sind zwar umzäunt, doch finden hin und wieder einzelne Tiere Schlupflöcher. Deshalb sollte man auf Autofahrten in kurvenreichem und schlecht einsehbarem Hinterland immer auch mit vierbeinigen Überraschungen auf der Straße rechnen und bremsbereit sein. Unvorsichtigen könnte sonst ein teures Schafgericht blühen.

Gleich Zugvögeln taucht mit den ersten wärmenden Sonnenstrahlen das bunte internationale Völklein der Straßenkünstler auf und nimmt Palmas Altstadt in Besitz. Jede Menge Akrobaten, menschliche Statuen, Straßenmaler, Gaukler, Sänger und Musiker buhlen entlang der großen Fußgängerpassagen jetzt wieder um die Gunst des Publikums und um einige Brosamen (lies: Geldspenden).

Oberstes Ziel im Konkurrenzkampf am Straßenrand: den Passanten auffallen. Wer es nicht mit überdurchschnittlichem Talent schafft, erreicht es allenfalls mit Köpfchen – wie dieser kopflose Herr in der Carrer Sant Miquel, der sich über Beachtung nicht beklagen kann.

Mit einer Marketing-Großoffensive sucht man derzeit den Abwärtstrend bei den Ferienbuchungen insbesondere auf Mallorca aufzuhalten. Tourismusminister Miquel Nadal forderte eben erst die Aufstockung des Balearen-Werbebudgets und versprach auf der Berliner Tourismusmesse ITB, „man werde um jeden Gast kämpfen". Das nimmt man sich hoffentlich auch in Port d´Andratx zu Herzen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde hier als Dienstleistung ein Tourismus-Auskunftsbüro eröffnet. Doch es blieb diesmal den ganzen Winter über verriegelt. Von Oktober bis zum Beginn der Karwoche gab es für ratlose Touristen nichts zu fragen. Man hat damit im ganzjährig von Ausflüglern aus allen Inselregionen besuchten Hafenort wohl nicht wenige Gäste vergrault. Ob das die eingesparten Personalkosten wert ist?

Neugierigen fallen im Dorf Algaida rätselhafte Schranken auf: Zu beiden Seiten der Hauptgasse stehen vor vielen Eingangstüren schräg angestellte Bretter aus Holz, Spanplatten oder Kunststoff. Sie haben einen sehr praktischen Sinn, wie man uns in der Bäckerei im Ort erläuterte: „Unsere traditionellen Dorfhäuser besitzen keine richtigen Vordächer. Bei Regen ist die untere Hälfte der Eingangstüren stark dem Wasser ausgesetzt. Deshalb schützen wir unsere meist schön verzierten Holztüren mit solchen Schrägwänden." Was sich in Algaida bewährte, hat Nachahmung gefunden: Man sieht solche Holzschrägen heute hier und dort auch vor Türen in anderen Inselorten.