Alarmstufe Rot, es ist der heißeste Tag des Jahres. Die Gesundheitsbehörden raten dringlichst, zu Hause zu bleiben, viel Wasser zu trinken, sich nicht unnötig zu bewegen. In Sa Pobla, dem Backofen Mallorcas, dem „heißesten Ort Europas“ („Última Hora“), werden Temperaturen von bis zu 44 Grad im Schatten erwartet. 41,2 Grad sind es dann. Das ist kein Spaß. Und der Chef schickt mich - man darf noch raten - genau, nach Sa Pobla. Was, frage ich mich, habe ich ihm nur getan?

Die Gassen des Ortes, so scheint‘s, sind hier enger als anderswo, die Autos an den Seiten verschrammter und die Zahl der zerdepperten Seitenspiegel höher. An der Plaça Major angekommen, stelle ich fest, dass ich nicht der einzige Reporter bin, der an diesem Tag Außendienst im Hochofen schieben muss. Am Rande hat sich ein Kamerateam vom Inselsender IB3 aufgebaut. Liveschaltung aus der Hölle. Was die Kollegen wohl ausgefressen haben?

Moderator Francesc Ferrer geht für die Nachrichten am Mittag auf Sendung. Eine Minute spricht er ins Mikrofon und dreht sich für die Zuschauer in den klimatisierten Wohnzimmern und Bars in Richtung der menschenleeren Plaça Major, die am Morgen, als es noch frischer war, fürs Jazz-Festival am Abend hergerichtet worden war. Dann sprintet er zurück in den klimatisierten Ü-Wagen. Auch die Kameraleute greifen zum Handtuch und wischen sich den Schweiß von der Stirn.

Gegenüber im Seniorenclub betrachten Antonio Cañellas (77) und Pedro Crespí Comas (83) amüsiert die Szenerie. Sie sind die letzten, die noch auf den roten Plastikstühlen vor der Casa Can Vedal ausharren, die anderen haben sich mit dem immer knapper werdenden Schatten nach Hause verzogen. „Tja, junger Mann, früher war‘s hier mal frischer“, sagt Cañellas und zupft ein wenig an seinem Hemd, als ob er sich Luft zufächeln wollte. Damals seien die Fel­der ums Dorf herum auch noch mehr bewässert worden, ergänzt Crespí. Beide haben ihr Leben lang in der Landwirtschaft gearbeitet. Damals, als die Felder noch ganzjährig bewirtschaftet wurden: Kartoffeln im April und im November. Und dazwischen wurden Mais, Erdnüsse und Bohnen angebaut und geerntet. Heute liegen die meisten Felder brach. Und auch die wenigen Bauern, die noch Kartoffeln anbauen, haben keine rechte Lust mehr. Die meisten Erdäpfel sind für den Export nach England und Irland bestimmt. „Doch die Preise sind im Keller“, wird später der Gemüsehändler Juan José González sagen, der am Ortsausgang den größten Frucht- und Gemüsehandel des Ortes betreibt.

„Und so müssen wir jetzt auch mehr schwitzen“, sagt Cañellas, der sich noch daran erinnern kann, wie er das Wasser mit Eimern aus dem Brunnen gezogen hat. Seine beiden Kinder arbeiten im Tourismus, und Cañellas kann es ihnen nicht verdenken. Sa Pobla, sagt sein Nachbar Crespí, das war einmal das Dorf der Kartoffeln - und des Fußballs. Großartige Spieler habe der Ort hervorgebracht. Doch auch in dieser Hinsicht hat sich viel geändert. Der FC Poblense dümpelt in der dritten Liga, weshalb die Poblenser lieber die erste Liga am Fernseher verfolgen. Sa Pobla ist wohl der einzige Ort Mallorcas, wo die Fan-Clubs von Real Madrid und vom FC Barcelona eigene Niederlassungen am wichtigsten Platz des Ortes unterhalten. Rechts weht die Barça-Fahne auf der anderen Seite die der Weißen. „Da gibt‘s schon eine gewisse Rivalität“, schmunzelt Cañellas, bevor er sich von seinem Stuhl erhebt. Der Schatten ist weg. „Zeit zum Essen“, sagt auch Crespí und macht sich ebenfalls auf den Heimweg.

Recht hat er. Auch mir knurrt der Magen und ich verziehe mich ins nahe gelegene Café Vaumar, wo zwei auf Hochtouren surrende Klimaanlagen vergeblich den Kampf gegen die Hitze aufnehmen. Kellner Toni rinnt der Schweiß über die Stirn. Für zwei Bier ohne Alkohol, einen Teller Makkaroni, ein Mandel-Sorbet und einen café con leche corto de café, nimmt mir Toni auf den Cent genau zehn Euro ab. Mission erfüllt.

Währenddessen packen draußen auch die Kollegen vom Fernsehen hastig ein. Wo geht‘s hin, Francesc? „Nach Artà“, stöhnt der Fernsehmann. Gerade kam der Anruf aus der Redaktion: „Da ist‘s noch zwei Grad wärmer.“ Es hätte also auch noch schlimmer kommen können, denke ich mir und mache mich auf dem Weg zum Gemüsehändler. Schließlich fehlt noch das Mitbringsel für die Kollegen, Und das kann aus Sa Pobla nur eines sein: ein Sack Kartoffeln.