Von Brigitte Kramer

Seit zweieinhalb Jahren ist die Direktorin der Schule Colegio Nuestra Señora de la Consolación in Alcúdia in Echtzeit mit 411 Schülern, deren Eltern sowie 33 Lehrern verbunden. Ein Griff in die tiefe Tasche ihres grauen Habits, ein Klick, ein Blick - und schon weiß sie, welcher Schüler die Mathe-Hausaufgaben nicht abgegeben hat, wer unentschuldigt fehlt, wer sich durch eine besonders anschauliche Präsentation einer Hausarbeit hervorgetan hat. Täglich werden die Eltern per SMS informiert, die Kartei des Schülers im Zentralcomputer aktualisiert. Per Password und Username haben alle Beteiligten außerdem auf der Website Zugang zu den Daten (www.nsc-alcudia.com).

„Wir setzen auf Kontrolle und Motivation", sagt die studierte Religionspädagogin und Grundschullehrerin, die den Schulbetrieb seit 1983 kennt. Sie, ihre Schüler und die Lehrer treiben gemeinsam das Projekt „Lernen mit High-Tech" voran, das Maria Gracia und der Informatiklehrer und Systemverwalter der Schule, Salvador Pinya Garau, 2005 ausgeheckt haben: 40 Computer, 30 PDAs, zwei Laptops, 18 interaktive Wandtafeln (Whiteboards) sowie zehn Projektoren und Audiosysteme stehen Lehrern und Schülern zwischen 3 und 16 Jahren zur Verfügung. Zudem hat man von jedem Winkel aus drahtlosen Zugang zum Internet

(Wi-Fi-Access).

Der spanische Orden der Augustinerinnen, dem die gebürtige Mallorquinerin seit dem Jahr 1974 angehört, fand die Idee der digitalen Schule gut und unterstützt seither das teure Vorhaben, die Eltern zahlen monatlich um die 50 Euro Schulgeld für Wahlfächer und neue Anschaffungen, der Rest wird vom Gehalt finanziert, das die vier Ordensfrauen beziehen und der Schule spenden. Sie haben gemäß ihrem Gelübde keinen Privatbesitz. „Vom Landesbildungsministerium bekommen wir keinen Cent", sagt Maria Gracia, „außer den gesetzlich geregelten Zuschüssen für Lehrergehälter und herkömmliche Infrastruktur."

Betritt man das moderne Gebäude am Ortsrand von Alcúdia, zwischen neu gebauten Wohnanlagen, einem weitläufigen Spielplatz und unbebautem Brachland, dann gelangt man nicht nur in das Reich der Heiligen Maria der Tröstung, so der Name der Schule, sondern befindet sich auch in der Wi-Fi-Zone: Ein lichtdurchfluteter Gang, auf halber Höhe eine Galerie, von der grün-weiße Kletterpflanzen herabhängen, darunter die Rezeption, gegenüber ein großer Schwarz-Weiß-Druck, auf dem der Ordensgründer, der Heilige Augustinus von Hippo, in verklärter Pose abgebildet ist. Er wirkte und lebte im 4. Jahrhundert im heutigen Algerien, wird als einer der Väter der katholischen Kirche verehrt, hat mit seiner Philosophie das gesamte Denken des Abendlandes geprägt - und er hat die christliche Botschaft der Liebe ins Zentrum seiner Auslegungen gestellt. Maria Gracia trägt diese Botschaft weiter - mit zeitgemäßen Mitteln.

„Wir erziehen hier fürs Leben", sagt sie und klickt auf ihrem Laptop die virtuelle Präsentation der Schule an. Zum Song „Polvo de estrellas" des uruguayischen Liedermachers Jorge Drexler („? Ein einziges Leben ist ebenso viel wert wie die Sonne ?") tauchen Bilder von Dreijährigen in Kitteln auf, die mit der Hand auf eine digitale Tafel patschen, Ordensfrauen öffnen christliche Botschaften auf einem 800-Zoll-Wandbildschirm, Halbwüchsige halten vor bewegten Bildern Vorträge über spanische Barockliteratur.

Liebe und Technologie

Als sie den Bildschirm ihres tragbaren Computers wieder einklappt, sagt Maria Gracia: „Die Technologie ist natürlich nicht das Ziel, sie ist der Weg. Wir wollen unsere christliche Botschaft auf maximalem Niveau überbringen."

Das Leben nach Maria Gracia, das sind zwei Dinge: Liebe und Technologie. „Für die Jugend von heute sind die Neuen Medien Alltag", sagt die Direktorin, „warum sollen wir das nicht nutzen, um sie zu motivieren?" Sie findet, dass an Schulen mit herkömmlichen Unterrichtsmaterialien „Lehrer des 20. Jahrhunderts Schüler des 21. Jahrhunderts mit Methoden des 19. Jahrhunderts" unterrichten.

Ein erstes Fazit im dritten digitalisierten Schuljahr: Kaum Schulabbrecher, höhere Leistung und mehr Teilnahme im Unterricht, bessere Zusammenarbeit mit den Eltern und eine durchweg positive Bewertung der Absolventen in den zum Abitur führenden höheren Schulen.

„Unsere Schüler werden als gebildet, sehr gut erzogen und respektvoll bezeichnet."

Eine Veröffentlichung des European Schoolnets aus dem Jahr 2007 bestätigt diese Aussagen zum Teil: Der Unterricht mit interaktiven Whiteboards und anderer Informations- und Kommmunikationstechnologie steigere besonders in den Fächern Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften das Lernergebnis. Digital aufbereitete Inhalte blieben den Schülern länger im Gedächtnis und führten zu aktiverer Teilnahme, heißt es in der Studie. Das European Schoolnet ist eine internationale Partnerschaft zwischen mehr als 25 europäischen Erziehungsministerien, die Lernmöglichkeiten für Schulen, Lehrer und Schüler in ganz Europa bietet. Mitarbeiter des Netzwerkes hatten 17 Studien aus den Jahren 2002 bis 2006 vorwiegend aus Großbritannien untersucht, wo die Regierung flächendeckend 20.000 interaktive Lehrsysteme in öffentlichen Schulen installiert hatte.

Schnelles Geld statt Abitur

Trotz Motivation und Spaß beim Lernen gehen in Alcúdia aber nicht alle Schüler den Weg bis zum Abitur weiter: Ihre Ausbildung im Colegio Nuestra Señora de la Consolación beenden die Schüler mit 16 Jahren. Dann endet auch die allgemeine Schulpflicht. „Wir leben hier in einer Tourismusregion, viele suchen das schnelle, leicht verdiente Geld", sagt die Leiterin, selbst Tochter eines Gastronomen aus Llucmajor, und seufzt dabei. Aber auch als Kellner oder Rezeptionistin kann man die Kenntnisse aus den Pflichtfächern Informatik und Religion nutzen. Dazu werden in der Schule Deutsch und Englisch unterrichtet.

Das Fach Religion unterrichtet die Direktorin persönlich, bei Jungen und Mädchen im Alter von 14 und 15 Jahren. Die Stunden beginnen - Whiteboard an, Projektor an, Audiosystem an - mit Entspannungsmusik, einer kurzen Meditation und einem Gebet, „das nichts mit Anbetung zu tun hat", wie sie sagt. Irgendeinen „schönen Satz" lässt sie dann über den Wandschirm ziehen, „denn ich will den Schülern helfen, unabhängig von ihrem Glauben, glücklich zu sein."

Glücklich zu sein, das bedeutet für die Ordensfrau, in Kontakt zu stehen mit seinem Inneren, ein Gespräch mit seinem Ich führen zu können, sich selbst wahrzunehmen und auf diese Weise eine Dialogfähigkeit nach außen hin zu entwickeln, „die über das gewöhnliche Alltagsgerede hinausgeht". Freundschaften könnten überhaupt nur dann entstehen, so erzählt sie den Jugendlichen, wenn „man sich selbst und dem anderen zuhören kann".

Maria Gracia spricht in der Religionsstunde vom Gott der Liebe, ganz wie der Heilige Augustinus ihn beschrieben hat, „denn den strafenden Gott gibt es nicht mehr". Sie spricht aber auch, und da helfen ihr ein Psychologe und ein Arzt, über Sexualität und Abtreibung. Diese Themen liegen ihr besonders am Herzen. Maria Gracia hat sich dazu selbst Unterrichtseinheiten gebastelt, denn mit herkömmlichen Religionsbüchern arbeitet sie nicht mehr.

„Die Kirche lebt in einer Parallelwelt", findet sie, „wir aber öffnen uns und akzeptieren die Welt so, wie sie heute ist." Maria Gracia weiß, dass die Pubertät eine Phase des Experimentierens ist. „Ich sage den Schülern nicht, dass sie gewisse Dinge nicht ausprobieren sollten, ich sage ihnen nur, dass alles, was wir tun, Konsequenzen hat." Maria Gracia rät den Jugendlichen also zur sexuellen Vorsorge, ohne dabei das Wort Kondom zu benutzen - deren Verwendung verbietet der Vatikan. Konkrete Anweisungen erteilen aber der Psychologe und der Arzt. „Die meisten Schüler sind ja ohnehin aufgeklärt, es geht mir vor allem darum, ihr Verantwortungsbewusstsein zu stärken."

Beobachtet man die Jugendlichen, wie sie im Stundenwechsel die Treppe hinunterspringen, in Jeans mit tiefhängenden Hosenböden, mit Piercings in den Augenbrauen und vollgekritzelten Rucksäcken, wirken sie eher schnodderig als „sehr gut erzogen". Als die Direktorin aber ein kleines Handzeichen gibt, stellen sie sich sofort in einer Reihe auf der rechten Seite der Treppe auf. Maria Gracia und ihr PDA können an der Horde vorbeziehen, begleitet von artigen „Buenos días"-Grüßen.

In der Druckausgabe lesen Sie außerdem:

Pòrtol - Das Dorf der alten Töpfer

"Nasua nasua" - Der unbeliebte Waldbewohner