Von Tom Gebhardt „Wenn man sich aber die Einzelfälle anschaut, dann haben diese Mauern Tausenden von Menschen immer wieder das Leben gerettet", erklärt Mas fasziniert, der in der Balearen-Universität mittelalterliche Geschichte doziert und die Ausstellung „Dins les murades" (Innerhalb der Mauern) konzipiert hat, die zurzeit im Historischen Museum Manacor gezeigt wird.

Uneinnehmbare Festungen

„Unsere Geschichtsbücher sind voll von Siegen und damit auch von den Niederlagen. Wenn aber eine Burg einem Angriff standgehalten hat, dann taucht das in unserer Geschichtsschreibung kaum auf", sagt Mas. „Der Alltag macht eben keine Geschichte." Und die mallorquinischen Burgen seien größtenteils nahezu uneinnehmbar gewesen. Allerdings müsse man bei den Schilderungen aus dem Mittelalter immer vorsichtig sein, da in der Regel maßlos übertrieben wurde. So sei es keine Seltenheit, dass bei einem Überfall von 20.000 Toten berichtet wurde, während man heute wisse, dass das entsprechende Dorf lediglich ein paar Hundert Einwohner gehabt hatte.

Bei manchen Burgen ist man sich nicht einmal sicher, seit wann die Mauern stehen. So wisse man von der Burg in Alaró - sicherlich die ältesten Gemäuer der Insel - nur mit Sicherheit, dass sie schon stand, bevor die Araber die Insel dominierten. „Urkunden belegen, dass es sie im Jahr 902 schon gab. Wir vermuten, dass sie aus byzantinischer Zeit stammt", sagt Mas. In der maurischen Zeit Mallorcas - also zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert - seien die Burgen in Pollença, Santueri und Artà errichtet worden. In der Zeit nach der Eroberung durch die Katalanen - also nach 1229 - sind die Festungen Bellver und die Burg bei Capdepera entstanden.

Flucht vor Piraten

Bis zum 15. Jahrhundert hätten die Festungen im Landesinnern eine bedeutendere Rolle gehabt. „Sie glichen eher befestigten Felsen", meint Mas. Wenn Piraten die Insel überfielen, konnten sich die Einwohner in die nahezu uneinnehmbare Festung zurückziehen. Burgen wie die in Alaró hätten häufig monatelangen Angriffen standhalten können. Besiegen konnte man die hinter den Mauern sicher Verschanzten nur durch Aushungern. Dank eigener Wasserversorgung - und nicht selten eigener Viehwirtschaft innerhalb der Festungsmauern - habe man jedoch so große Vorräte gehabt, dass die Belagerer nicht selten aufgeben mussten.

Mit dem 16. Jahrhundert veränderte sich zweierlei: Zum einen waren die bis dato eher senkrecht erbauten hohen Mauern plötzlich nicht mehr sicher. „Mit der Erfindung des Sprengstoffs gab es auf einmal neue Waffen. Ein einziger Kanonenschuss konnte eine ganze Mauer zum Einsturz bringen, die vorher jahrhundertelang Schutz gewährt hatte", erklärt Mas. Fortan baute man schräge Mauern, wie man sie heute in Palma oder Ibiza-Stadt sehen kann. Sie konnten die Wucht der Kugeln abfangen. Zum anderen verloren die Befestigungen im Landesinnern im 16. Jahrhundert immer mehr an Wichtigkeit. Sie wurden verlassen, um die Insel bereits an der Küste vor drohenden Invasionen beispielsweise der Türken, Franzosen oder Engländer zu schützen.

Mas interessieren aber nicht nur die Kriegszeiten. Ihn fasziniert vor allem das alltägliche Leben: Die Spiele, mit denen man sich zur kalten Jahreszeit am Kamin die Zeit vertrieben hat, oder der Wandel des Speiseplans im Laufe der Jahrhunderte. Dabei hatten die Araber - aus häutiger Sicht betrachtet - sicherlich die gesünderen Essensgewohnheiten: „Sie haben viel mehr Gemüse und wesentlich abwechslungsreicher gegessen", meint der Historiker. Der Ackerbau mit aufwendigen Bewässerungssystemen sei unter maurischer Herrschaft wesentlich weiter entwickelt gewesen als nach der Eroberung durch die Katalanen. Zu dem Gemüse kamen Obstsäfte und mit Zimt oder anderen Gewürzen aufgekochtes Wasser, vereinzelt Fleisch sowie frischer oder gepökelter Fisch.

Wein als Power-Drink

Nach der Eroberung durch die Christen im 13. Jahrhundert kam das Schweinefleisch auf dem Speiseplan dazu. Allerdings blieb der Fleischkonsum überwiegend ein Privileg der reichen Schichten. „Die einfachen Arbeiter ernährten sich meistens von Brot und Wein", sagt Mas. „Wir gehen im christlichen Mittelalter von einem Pro-Kopf-Verbrauch von 250 Kilogramm Weizen im Jahr aus", rechnet der Historiker vor. Den Wein habe man vor allem als Energielieferant benötigt, um die harte körperliche Arbeit bei der Ernte oder beim Bau der Festungsanlagen auszuhalten.

So viel sich auch verändert haben mag, im Alltag der Menschen sieht Mas auch Konstanten, die für alle Jahrhunderte bis heute gültig sind. „Ein Soldat verbringt den Großteil seines Lebens damit, sich körperlich fit zu halten. Das galt früher genauso wie heute", sagt er. Um die schweren Rüstungen zu tragen, mussten die Ritter vor allem jeden Tag trainieren, um körperlich topfit zu sein. Der Kriegsfall war ja auch nur die Ausnahme. „In den meisten Festungen wohnten in der Regel nur ein knappes Dutzend Menschen, die den größten Teil des Jahres damit verbracht haben, Wache zu schieben und täglich zu trainieren", sagt Mas.

Auch die Festkultur habe sich über die Jahrhunderte nicht so sehr verändert, wie man das manchmal glauben möchte. Natürlich habe es auch prunkvolle Hochzeiten der hohen Herrschaften gegeben. Diese waren allerdings auf relativ wenige Leute beschränkt - so wie es auch heute noch Feiern der reichen Leute gebe, von denen der Großteil der Gesellschaft nur aus den Medien erfahre. „Der Zeitplan für Feste, bei denen das ganze Dorf mit allen Gesellschaftsschichten mitgefeiert hat, wird seit jeher von der Natur vorgegeben", ist sich Mas sicher.

Noch heute feiere man Weihnachten schließlich zur Wintersonnenwende, Ostern um den Frühjahrsbeginn und San Juan zur Sommersonnenwende. An den Terminen und in vielen Fällen auch an der Art des Feierns - häufig das gemeinschaftliche Betrinken - habe sich im Laufe der vielen Jahrhunderte gar nicht so viel verändert.

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