Es war im Mallorca-­Urlaub vor sieben Jahren, als Jens Händel die Sammelleidenschaft packte. Wo andere nur steinerne und bröckelnde Fassaden an der Küste Mallorcas sahen, lief vor dem inneren Auge des Deutschen ein Film ab.

Er sah Turmwächter, die einst wochen- und monatelang ausharrten und von deren Aufmerksamkeit die Sicherheit der Insel abhing. Er sah Piraten, die sich der Küste näherten und einen Überfall ausheckten. Und er sah Rauch- und Feuerzeichen, die von Turm zu Turm weitergeleitet wurden und so in kurzer Zeit den Almudaina-Palast erreichten.

Die Türme kann der 39-Jährige aus Uelzen zwar nicht in die niedersächsische Heimat mitnehmen, aber er hat sie sich dennoch einverleibt: Während seiner Mallorca-Urlaube sucht er sie auf, fotografiert sie und dokumentierte sie danach ausführlich auf einer mittlerweile nahezu vollständigen Website. Integriert ist dort auch eine interaktive Karte (www.mallorca-torres.de).

"Ein paar fehlen mir noch", sagt Händel. Doch auch so ist die Sammlung eindrucksvoll: Sie umfasst 32 runde sowie zehn eckige Küstenwachttürme, fünf runde ­sowie 18 eckige Wehr- und Wohntürme im Inselinnern sowie elf castillos. Während einige torres in jedem ­Reiseführer stehen und im Handumdrehen besucht werden können, stellten andere Türme Händel vor handfeste Probleme. Sie stehen auf privatem Grund, in unzugänglichem Gelände im Tramuntana-Gebirge oder gar in militärischem Sperrgebiet.

Doch davon lässt sich der Deutsche nicht abhalten: Bei den zwei bis drei Mallorca-Aufenthalten pro Jahr werden Wanderungen einge­plant, und meistens haben die ­Finca-­Besitzer ein Einsehen und freuen sich, dass sich jemand für den Turm auf ihrem Grundstück interessiert. "Meine Frau und ich haben auf ­diese Weise schon die schönsten Ecken gesehen", sagt Händel - Türme, die garantiert in keinem Reiseführer stehen. Und im Sperrgebiet konnten nebenbei Bunker aus der Franco-Zeit besichtigt werden.

Um sich auch in der Geschichte der Türme auszukennen, hat sich der Deutsche alles an verfügbarer Literatur zugelegt, angefangen beim Standardwerk "Die Balearen in Wort und Bild" von Erzherzog Ludwig Salvator bis hin zu heutigen Info-Seiten der Gemeinden. Dabei ist Händel gar kein studierter Historiker, sondern absolviert derzeit eine Umschulung zum Bürokaufmann - die historische Spurensuche ist ein willkommener Ausgleich.

Händel unterteilt Mallorcas ­Türme nach dem kartographischem Werk von Vicente Mut aus dem Jahre 1683 in zwei Kategorien: Warntürme, von denen aus durch Feuer- oder Rauchzeichen vor einer drohenden Gefahr gewarnt wurde und die vor allem an der Küste erbaut wurden, sowie reine Beobachtungs- und Wachtürme. Mut zählte damals 37 Türme - 16 Warntürme und sieben Beobachtungstürme an der Küste der Sierra de Tramuntana und der Dragonera-Insel sowie zwei Beobachtungs- und zwölf Warntürme im südlichen Teil Mallorcas.

Erbaut wurden sie, nachdem die spanische Seemacht um 1500 einige afrikanische Gebiete erobert hatte und sich dort allmählich eine gewaltige Piratenflotte formierte. Um das westliche Mittelmeer zu verteidigen, holte sich die spanische Krone Festungsbaumeister ins Land und ließ vor allem im Laufe des 16. Jahrhunderts die "Piratentürme" errichten.

Sie bestanden in der Regel aus gewölbeartig gebauten Kammern über zwei Etagen sowie einer Zisterne zur Versorgung mit Trinkwasser. Der Eingang befand sich meist mehrere Meter über dem Boden und konnte nur durch eine Strickleiter erreicht werden. Als Baumaterial dienten Blöcke aus Marés-Gestein.

Die zwei bis vier Mann pro Turm verfügten in der Regel über eine Kanone sowie einige Handfeuerwaffen. In der Regel durfte nur einer von ihnen den Turm verlassen, um Nahrung zu beschaffen. Sichteten die Männer feindliche Schiffe, schlugen sie am Tag per Rauchzeichen, in der Nacht per Feuersignal Alarm und gaben diesen von Turm zu Turm weiter, bis auch die Herrscher in Palma vor der Gefahr gewarnt waren.

Das zahlte sich aus: Nachdem in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei Überfällen bis zu 1.500 Piraten über Küstenorte und ihre ­Bewohner hergefallen waren, bewährte sich im Jahr 1561 das Frühwarnsystem bei einem Angriff auf Sóller. Die Falle schnappte zu, die Mallorquiner töteten einen Großteil der Piraten. Von da an sollten nur noch wenige Angriffe von Erfolg gekrönt sein, und im Jahre 1571 wurde schließlich die Piratenflotte von Chaireddin Barbarossa zerschlagen. Von da an waren Überfälle selten, sie hielten aber bis Mitte des 19. Jahrhunderts an. Nachdem die Türme ausgedient hatten, setzte ihr Verfall ein. Heute sind nach dem Kenntnisstand von Händel von ehemals 85 Wachtürmen noch rund 50 ganz oder teilweise erhalten. Einige seien schön restauriert, vor allem die an vielbesuchten Orten. Von anderen seien nur Fragmente ­übrig, und die Restaurierung sei wegen der unzugänglichen Lage eine schwierige Angelegenheit.

Zurzeit arbeitet Händel an einer spanischen Version der Seite, und vielleicht entsteht ja in Zukunft auch ein Fotoband mit den Türmen. Wer die Geschichte der torres erahnen will, muss sie freilich vor Ort aufsuchen. Zum Einstieg empfiehlt Händel die Türme Torre d´en Basset (bei Sant Elm), Torre Esbucada (bei Cala Ratjada) und Torre de Picada (bei Port de Sóller). In der Printausgabe lesen Sie außerdem:

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