Von Tom Gebhardt

Der 51-jährige Mann mit dem ruhigen, analysierenden Blick lächelt bescheiden, wenn man ihn für diese Kenntnisse bewundert: „Das ist halt mein Job", sagt er zufrieden. Joan Rita - Biologe mit Promotion in Botanik - ist so etwas wie der Hauskräutersammler der Balearen-Universität. In den vergangenen acht Jahren hat er sämtliche Pflanzenarten, die es auf Mallorca und den kleineren Nachbarinseln gibt - immerhin rund 1.800 - exemplarweise gesammelt, dokumentiert, katalogisiert und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In anderen Worten: Dr. Rita hat ein vollständiges Insel-Herbarium angelegt.

Sein Kräuterkatalog hat eine Besonderheit, die international für Aufsehen gesorgt und inzwischen schon einige Nachahmer gefunden hat. Denn in der Regel werden die wissenschaftlichen Herbarien, die den Botanikern als Studienkataloge dienen, aufwendig angelegt. Zunächst werden die Pflanzen gepflückt, dann möglichst schnell getrocknet und gepresst, damit sie anschließend - auf Spezialpapier fixiert - abgeheftet und dokumentiert werden können. Es gibt Herbarien, die bereits Jahrhunderte alt sind und Wissenschaftlern noch immer beim Katalogisieren der verschiedenen Arten dienen. Inzwischen werden die getrockneten Präparate in der Regel zusätzlich gescannt, um die digitalen Bilder auch per Internet weltweit verfügbar zu machen.

In der Balearen-Universität aber überspringt man gleich mehrere Arbeitsschritte. Seit dem Jahr 2000 legt man die Pflanzen direkt auf den Scanner - also ungepresst und ungetrocknet. „Die Bilder, die wir so von den frisch gepflückten Pflanzen erhalten, sind viel originalgetreuer", erklärt Rita. Die Farben seien wesentlich natürlicher als bei Trockenpflanzen. Und durch das Scannen entstünden deutlich detailliertere Bilder als zum Beispiel bei aufwendigen

Makro-Aufnahmen per Digitalkamera.

Nichts mehr zu rupfen

Zunächst wollte man auf diese unkonventionelle Weise lediglich die Natur schützen. Der Uni-Professor wollte verhindern, dass jeder einzelne seiner Botanikstudenten - etwa 100 pro Jahr - jeweils im dritten Semester über die Insel läuft, um Kräuter für das persönliche Herbarium zu sammeln. „Sie können die Pflanzen jetzt per Internet-Sammlung kennenlernen und dann in der Natur betrachten, ohne sie auszurupfen", sagt Rita, der zu den Gründungsmitgliedern der Umweltorganisation GOB gehört und in der Anfangszeit einmal vier Jahre lang deren Vorsitzender war.

Das virtuelle Herbarium ist aber auch außerhalb des Uni-Geländes nördlich von Palma zur Erfolgsstory geworden. Zunächst schauten sich nur Studenten die hochaufgelösten Bilder im Internet an. Dann kamen Gymnasiallehrer dazu, die die Bilder samt Beschreibung in ihren Schulklassen benutzten. Später entdeckten auch Naturliebhaber und Wanderer die Webseite.

Inzwischen stellte Rita das Projekt auf mehreren Konferenzen vor, sodass auch Botaniker anderer Länder sich für die Seite und das System interessieren. Vor einigen Jahren schlossen sich dem Projekt die Universitäten Barcelona und Valencia an und erweiterten die Sammlung vom balearischen zum mediterranen Herbarium. Jetzt kann man über 2.200 verschiedene Pflanzenarten darin studieren. Die jeweiligen Beschreibungen finden sich nicht nur auf Katalanisch und Spanisch im Netz, sondern sind auch ins Englische übersetzt.

Um die Sammlung zu vervollständigen, arbeiteten in den vergangenen Monaten acht professionelle Botaniker daran, auch alle 289 Pilzarten der Balearen zu dokumentieren. Für eine Erweiterung des Mittelmeer-Herbariums auf die italienische und französische Küstenregion suchen die Initiatoren derzeit noch die entsprechenden Partneruniversitäten und die Finanzierung. Universitäten in Andalusien hätten ebenfalls Interesse an einer Kooperation geäußert, sagt der Botaniker.

Eines jedoch kann auch Rita nicht: den Geruch der Pflanzen ins Internet stellen. „Dafür muss man schon auf die Insel kommen", sagt er. Wenn er von Besuchern gefragt wird, welche Pflanze für den typischen Mallorca-Geruch verantwortlich ist, kann er sich nicht recht entscheiden. „Das kommt halt immer auf die Jahreszeit an", sagt er. Die Mahón-Kamille fülle im Sommer ganze Regionen mit ihrem Duft. Zurzeit rieche man aber vor allem den ursprünglich aus Afrika stammenden Sauerklee, der überall auf Mallorca verbreitet ist. Früher im Jahr seien Mandelblüten und Rosmarinduft typisch für die Insel. Die Webadresse lautet: http://bolets.uib.es