Falscher Film im Nordosten Mallorcas: Auf der Landstraße zwischen Manacor und Artà wähnt man sich auf einmal in Österreich oder einer süddeutschen Mittel­gebirgslandschaft. Das liegt an den schroffen Hügeln bei Sant Llorenç des Cardassar. Die so genannte ­Serra de Calicant mit dem markanten Télegraf, dem ­Puig Negre oder dem Puig d´en Sard erstreckt sich auf eine Höhe von bis zu 473 Metern. Obwohl das Dorf nur 89 Meter über dem Meeresspiegel liegt, ist es schon fast gebirgsverdächtig – und auch die Radler auf der kurvigen Nebenstraße Camì de Calicant kommen an den Steigungen sichtlich außer Atem.

Auch die Chefs von Ziegler-Film, Deutschlands bekanntester Produktionsfirma, fanden die Landschaft zwischen Sant Llorenç und Artà wohl wenig mediterran. Der im August auf der Finca Sa Carrossa für die ARD gedrehte Fernsehfilm „Sommerlicht" mit Sky du Mont und Ruth Maria Kubitschek spielt jedenfalls nicht auf Mallorca sondern in England.

Der Ort selbst mit seinen rund 3.000 Einwohnern scheint seit dem Bau der Umgehungsstraße eine Art Dornröschenschlaf zu führen. Auf dem Weg von Palma nach Artà gibt es zwar drei Abzweige nach Sant Llorenç, die Straße aber führt im großen Bogen am Dorf vorbei. Dafür genießen die Bewohner der liebevoll renovierten Häuser an den neu hergerichteten Natursteingässchen jetzt wohl die Ruhe. Die große Plaza mit der Kirche aus dem 13. Jahrhundert, dem neuen Bibliotheksgebäude und dem plätschernden Brunnen ist von Bars und Cafés umgeben. Die fünf Menschen, die gerade vor Ort sind, wirken etwas verloren. Einer von ihnen ist Mont­serrat Santandreu Vallés, (86), der es sich mit zwei Bekannten annähernd gleichen Alters vor dem Seniorenzentrum gemütlich gemacht hat. Er ist eher wortkarg.

Angesichts der geringen Nachfrage bewegen sich auch die Preise auf einem Niveau von vor zwanzig Jahren: ein Brötchen mit Lendenfleisch (pepito de lomo) und einem Glas Rotwein gibt es für 3,60 Euro. Mallorquinisch sparsam hält man es auch mit den Programmheften für die Feierlichkeiten zur Ehre der Mutter Gottes, die noch bis zum 12. September dauern und allerlei Folklore bieten. Die Hefte sind vergriffen. Aus Kostengründen hatte man nur eine geringe Auflage gedruckt.

Immerhin ist den ausliegenden Informa­tionen zu entnehmen, dass der Höhepunkt des Festes in einer Prozession zu Ehren der Heiligen Maria am 8. September besteht. An diesem Tag erhielt Sant Llorenç nämlich seinen Beinamen „Cardassar". Als Jaume I. im 13. Jahrhundert die Insel besetzte, soll sich auf einem Feld bei Sant Llorenç angeblich eine Madonnenfigur zu erkennen gegeben haben, die sich während der Herrschaft der Heiden im Distelgestrüpp versteckt hatte. Der Fund der Mare de Déu dels Cards, der „Distelmadonna", verschaffte dem Ort den Beinamen „des Cardassar" („bei den Disteln").

Überhaupt ist Sant Llorenç ein geschichtsträchtiger Ort. Auf dem Gemeindegebiet befindet sich ein prähistorisches Talaiot-Dorf und beim Ortsteil S´Illot landeten während des Bürgerkriegs im Jahr 1936 republikanische Truppen, die erfolglos versuchten, Mallorca von den Getreuen Francos zu befreien. Unten am Meer gehören heute auch Touristensiedlungen wie Sa Coma zu Sant Llorenç und haben die Gemeinde reich gemacht. Vielleicht sind dort ja auch all die Einheimischen. Nach einer Erfrischung geht es wieder zurück nach Palma – mit Getränkedosen und Queli-Keksen für die Kollegen im Gepäck.