Sein Onkel Rafael ist schuld, dass Jaime Obrador so oft bei der Arbeit abgelenkt wird. Statt Setzlinge zu pflanzen, robbt der 43-Jährige zum Beispiel bäuchlings über den Boden, um sich vorsichtig einem Prozessionsspinner zu nähern. Oder er lässt beim Mandeln­pflücken plötzlich den Sack fallen, um mit seiner Kamera einer Spinne zu folgen, die an ihrem Netz baut. Als er neun Jahre alt war und seine Kommunion feierte, schenkte ihm Onkel Rafael eine Kamera. Und Jaime begann zu fotografieren.

Vom frühen Hunde- und Hühner-Knipsen bis zur heutigen Makrofotografie von Pflanzen und Insekten war es dabei ein langer Lebensweg mit einigen Schleifen. Aufgewachsen in den Feldern und Gärten seiner Eltern in Porreres, sollte Jaime Obrador nach dem Abitur etwas Anständiges lernen und machte eine Ausbildung zum Elektriker. Doch die Arbeit langweilte ihn, er sehnte sich zurück in die Natur. Nach Jobs im Hotel, auf der ehemaligen Hunderennbahn von Palma und in einer Bodega bekam er einen Auftrag als Gärtner – und war wieder in seinem Element.

1984 erbte er die Spiegelreflexkamera seines Vater und begann, intensiver auf Fotopirsch zu gehen. Diesmal hatten es ihm Blüten, Blätter und Früchte angetan, Motive, die er während seiner Arbeit ständig vor Augen hatte. „Mit der alten Kamera meines Vaters lernte ich die Grund­kenntnisse der Fotografie, vor acht Jahren kaufte ich mir dann eine Digitalkamera und ein neues 50-Millimeter-Objektiv." Seitdem nähert sich Jaime Obrador auch den kleinsten Tierchen in Mallorcas Gartenwelt, manche Motive sind nicht größer als ein halber Fingernagel. Der Mallorquiner stellt flimmernde Härchen von Spinnenbeinen, Krallen der Gottesanbeterinnen und durchsichtige Flügel von Libellen scharf. Dem Objektiv und seiner Geduld verdankt er so ungewöhnliche Aufnahmen wie die einer Spinne, die auf dem Rücken ihre ungeschlüpften Kinder transportiert. Manchmal scheinen die Tierchen dem Fotografen auch direkt ins Gesicht zu sehen – wie etwa die Gottesanbeterin – und zu sagen: Los beeil dich, ich muss weiter.

Ein Foto sollte möglichst beim ersten Schuss sitzen, denn das Shooting mit nervösen Schmetterlingen und Co kann nicht beliebig in die Länge gezogen werden. Doch wer in der Natur aufgewachsen ist und sie jahrelang beobachtet hat, kennt das Verhalten bestimmter Tiere. Und kann sie mit ein paar Tricks überlisten, vor der Kamera zu posieren.

„Ich sehe zum Beispiel während der Arbeit irgendwo ein Insekt aus einem kleinen Erdloch kriechen", erzählt Jaime Obrador. „Ich darf mich nun auf keinen Fall vom Motiv entfernen, sonst würde es sofort wieder verschwinden." Also legt er seinen Sonnenhut oder einen Handschuh auf den Boden in die Nähe des Tieres und geht erst dann Richtung Motorroller, in dem eine Kamera jederzeit griffbereit liegt. „Das Insekt fixiert den Hut und bewegt sich nicht, solange sich das undefinierte Objekt ebenfalls nicht bewegt", sagt der Gärtner. Auch in den Morgenstunden stehen die Chancen gut, ein Insekt vor die Linse zu bekommen. „Um sich aufzuwärmen, kriechen zum Beispiel die Käfer aus der Erde", erklärt Jaime Obrador. Dann heißt es, schnell zu sein, denn kaum hat sich der Körper des zarten Etwas erwärmt, geht´s schnurstracks in die Höhle zurück.

An der Naturfotografie gefällt Jaime Obrador, dass man nichts organisieren oder aufbauen muss. Was manchmal auch zum Verhängnis werden kann, wie er aus eigener Erfahrung weiß. So schleicht er schon monatelang auf Zehenspitzen seinem derzeitigen Lieblingsmotiv, Vögeln, hinterher. Und versucht, sie beim Nestbau oder Füttern ihrer Jungen abzulichten. Keine leichte Sache, denn Vögel sind extrem schreckhaft, da sie eine feine sinnliche Wahrnehmung besitzen. „Ich habe zwar Geduld, aber keine Zeit", sagt Jaime Obrador und lacht. Denn über mangelnde Arbeit kann er sich nicht beklagen. Und so wird es wohl noch ein Weilchen dauern, bis seine Sammlung von Vogel-bildern so umfangreich wird wie die der Insekten.

Infos

Jaime Obrador präsentiert seine Makrofotos noch bis Ende November in Llucmajor in der Pizzeria S´Estàtua (Passeig de Jaume III, Tel.: 971-66 00 88).

Unter den Motiven sind Insekten, Früchte, Blüten und farbige Details. Ein Makrofoto kostet 70 Euro.

Kontakt zum Fotografen unter Tel.: 628-31 21 31.