Jaume Pinyas „Lieblingsschindel des Monats" stammt aus dem Jahr 1690 und weist eine grobe Linien­zeichnung auf, über die der Künstler aus Sóller so lange sprechen kann, wie man ihm zuhören will. Das mehr als 300 Jahre alte Design, vermutlich hingeschmiert von einem Werkmann, der einen ganzen Satz Schindeln zu dekorieren hatte und sich nichts weiter dabei dachte, soll das Logo für Ca´n Xoroi werden, und ist heute schon das Logo für Jaume Pinyas Traum: ein echtes Museum für bemalte Dachschindeln. Der Grundstein ist gelegt: Seit dem vergangenen Sommer ist in Ca´n Xoroi, einer 2002 von der Gemeinde Fornalutx gekauften tafona (Ölmühle), eine ständige Ausstellung von 75 Dachschindeln aus drei Jahrhunderten zu sehen.

Ein Langweiler? Nicht wenn der 56-jährige „Konservator der Dachschindelsammlung" darüber spricht. Was wirklich hinter diesem Brauch steckt, die nach unten zeigenden Schindeln der Traufe zu bemalen, und woher die Tradition stammt, darüber diskutieren die Gelehrten. „Unter allen Schindeln eines Daches gibt es meistens eine, die eine Art Schutzfunktion für die Bewohner des Hauses ausübt", sagt Pinya. Welche Symbole sind gemeint? „Das ist ein Geheimnis."

Nicht immer. Religiöse Symbole wie das Malteserkreuz oder die Schriftzüge „José-María-Jesús" über mehrere Schindeln verteilt überdecken den ansonsten reichlichen Gebrauch heidnischer Symbole. Zu Pinyas aufregendsten Entdeckungen gehört das Porträt eines Kindes, in groben Zügen auf die Schindel gemalt. „So etwas sieht man sonst nie, verwendet werden üblicherweise Symbole, Pflanzenmotive und Figuren."

Aber auch die Figuren haben es in sich, sie fallen zum Teil nahezu abstrakt aus, erinnern an archaische Kulturen genauso wie an jene moderne Kunst, die sich bekanntlich an ihnen inspiriert. Bei manchen Motiven fällt dem Betrachter unwillkürlich der Name Miró ein. Stammte nicht dessen Großvater aus Sóller? Und ist Sóller nicht ein Zentrum dieses seltsamen Kultes der Dachverzierung?

Fornalutx jedenfalls ist für Pinya der ideale Standort für die Ausstellung, die mal ein Museum werden soll. Das hat historische Gründe – im Tal von Sóller war der Brauch offenbar besonders weit verbreitet – aber auch klimatische. Und das wiederum hat mit der Herstellungsweise dieser kruden Kunstwerke zu tun.

Damit die Schindel bemalt werden konnte, legte man sie in Kalk ein. Bevor dieser getrocknet war, trug man die aus Mineralien gewonnene Eisenoxydfarbe auf. Nun weiß jeder Besitzer eines traditionellen mallorquinischen Hauses, dass der Kalk mit der Zeit trocknet, brüchig wird und abbröckelt. „Wahrscheinlich hat die relativ hohe Luftfeuchtigkeit im Tal von Sóller dazu beigetragen, dass sich relativ viele Schindelbemalungen über all die Jahrhunderte erhalten haben", mutmaßt Pinya.

Trotzdem war ein Restaurierungsprojekt nötig. Dafür hat Pinya seine eigenen Kontakte eingebracht, denn jahrelang half er dem mallorquinischen Archäologen Jaume Coll Conesa bei der Sichtung und dem Studium von Häusern mit bemalten Dachschindeln. Coll ist heute Direktor des nationalen Keramikmuseums in Valencia und empfahl Experten aus Madrid. Die machten sich zuerst an den Dachschindeln von Ca´n Xoroi zu schaffen. Und das wäre eine weitere Besonderheit des künftigen Museums: Wenn man wieder draußen ist, geht der Besuch erst richtig los. Nicht nur Ca´n Xoroi selbst, sondern mehr als 20 Gebäude des Tramuntana-Dorfes haben historische bemalte Dachschindeln.

Im Jahr 2006 begann eine Restauratorin aus Sóller, mit der Wiederherstellung einer ersten Reihe von Schindeln, die der Gemeinde entweder geschenkt oder für die Ausstellung zur Verfügung gestellt wurden. Eine Schautafel zeigt den ursprünglichen und restaurierten Zustand einiger Stücke. Heute umfasst der Fundus 181 Schindeln von 21 Gebäuden in Fornalutx, Sóller und Palma. Bei vielen ist sogar der Name des Künstlers überliefert, einer – Toni Juan Busquets aus Fornalutx – pinselte vor 200 Jahren seinen Namen selbstbewusst auf eine der Schindeln.

Und Ca´n Xoroi ist nicht nur Dachschindeln. In der ehemaligen Ölmühle ist eine wundervolle und perfekt erhaltene Pressanlage aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die bis in die 70er Jahre in Betrieb war und demnächst wieder in Gang gesetzt werden soll.Als ehemaliger Chef de Service in Witzigmanns Restaurant in Sóller verhehlt der Bürgermeister Juan Albertí nicht seine Vorliebe für das kulinarische Thema Olivenöl: Er will die tafona zum Kernstück eines „Tramuntana-Info-Zentrums" machen.

Aber auch Jaume Pinya arbeitet weiter an seinem Traum und trommelt per Internet Gleichgesinnte zusammen: In Facebook haben die Schindeln unter „amics/gues de les teules pintades de Can Xoroi" ihr eigenes Forum. „Mehr als 130 Freunde sind bereits registriert, darunter auch Universitätsprofessoren aus den USA – das Thema zieht!"

Und zwar auch in anderer Weise: Die Schindelmalerei, sagt Jaume Pinya, komme wieder in Mode.

Infos

Ca´n Xoroi, neben dem Gemeindeamt Fornalutx, ist derzeit Fr und Sa von 10.30 bis 13.30 Uhr geöffnet.

Kontakt: jpinyaflorit@gmail.com

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