Einheimische Damen und Herren, die es gepackt hat, tun es regelmäßig mit Lust und bemerkenswertem Körpereinsatz: Sie schleudern Steine. Und zwar mit einer Präzision, die Laien den Atem raubt. Seit drei Jahrzehnten ist das Steineschleudern auf den Balearen ein anerkannter Sport mit eigener Verbandsstruktur und geordnetem Meisterschafts­betrieb. Höhepunkt ist die von der Fede­ración Balear de Tiro con Honda ausgeschriebene Balearenmeisterschaft, an welcher am vergangenen Sonntag in Son Servera im Osten Mallorcas die lizenzierten Spitzenschleuderer um den diesjährigen Sieg in dieser weltweit einmaligen Sportdisziplin kämpften.

Steine werden auf Mallorca seit der Antike geschleudert. In den Händen der Ureinwohner entwickelte sich das ursprüngliche Jagdgerät allerdings relativ rasch zur gefürchteten Waffe, mit der man anfangs ausschließlich das eigene Territorium verteidigte.

Etliche Jahrhunderte vor Christi Geburt tauchten die ersten balearischen Steineschleuderer in fremden Kriegsheeren auf. In die Geschichte eingegangen sind jene 2.000 Söldner der Balearen, die mit Hannibals Soldaten über die Alpen zogen, in den drei Schlachten gegen römische Heere an der Trebbia, am Lago Trasimeno und bei Cannae in den feindlichen Reihen mit ihren tödlichen Steingeschossen Angst und Entsetzen verbreiteten und viel zum Sieg der Karthager beitrugen.

Die phänomenale Treffsicherzeit der honderos, wie die Steineschleuderer in castellano heißen, führte im Laufe der Zeit zu allerlei Legendenbildungen. Beispielsweise sollen gemäß Berichten der römischen Schriftsteller Florus und Estrabon die mallorquinischen Inselmütter ihren Kindern das Essen in die Bäume gehängt haben, so dass diese ihren Hunger nur mit einem Meisterschuss stillen konnten. Dass die Tätigkeit der Steineschleuderer dem Balearen-Archipel den Namen gegeben hat, scheint nicht abwegig. Denn die Griechen nannten die Inselgruppe Baliarides, was vom griechischen ballein (schleudern) abgeleitet sein könnte.

Mit dem Aufkommen der Feuerwaffen geriet die Schleuder und ihre Handhabung für Jahrhunderte in Vergessenheit – bis zum Jahre 1977. Damals stellte der in Llubí wohnende Gabriel Fronera Gelabert im Zeichen eines neuen mallorquinischen Selbstbewusstseins am Patronatsfest des Dorfes zusammen mit ein paar Freuden ein erstes sportliches Steineschleudern auf die Beine. Der Anlass fand überall auf der Insel ein erstaunliches Echo. Was die Llubí-Pioniere dazu animierte, schon zwei Jahre später ein Reglement für den neuen Sport zu verfassen und Clubgründungen anzuregen.

Bereits am 30. September 1984 hob man einen eigenen Verband aus der Taufe und wählte Mateu Cañellas i Roca zum Präsidenten. Der im Hauptberuf als Ingenieur tätige ­Mallorquiner ist noch immer im Amt und fasst seine 25 Jahre an der Schleudererspitze so zusammen: „Heute gibt es auf den Balearen insgesamt sieben Clubs, fünf auf Mallorca und je einen auf Menorca und Ibiza. Insgesamt sind rund 170 lizenzierte Aktive bei uns eingeschrieben, unter ihnen auch zahlreiche Frauen." Ziel des Verbandes war es von Anfang an, den neuen Sport auch außerhalb der Inseln bekannt zu machen und nach Möglichkeit zu etablieren. 1989 kam es in einem Dorf bei Málaga zu einem ersten Wettkampf zwischen Insulanern und Andalusiern. Daraus entwickelte sich ein jährliches Treffen. 1992 durften 15 Schleuderer der Balearen im Rahmenprogramm der Olympischen Spiele in Barcelona an einer Demonstration urtümlicher Sportarten teilnehmen, was ein Jahr später zur Aufnahme in den spanischen Verband autochthoner Sportarten und damit zu vielen neuen Kontakten führte.

Das Jahr 1999 sollte zu einem weiteren Meilenstein in der Verbandsgeschichte werden. Bei der Eröffnung der Universiade in Palma entzündeten mallorquinische Steinschleuderer mit brennenden Kugeln das olympische Feuer und begeisterten mit ihrer atemraubenden Präzi­sion 700 Millionen Fernsehzuschauer. „Anschließend kamen Anfragen selbst aus Australien, Neuseeland und aus Amerika", erinnert sich Mateu Cañellas i Roca. Im Staate Utah in den USA organisiert seither eine Gruppe von Interessenten in loser Form ähnliche Steineschleuder-Treffen. Zu einer Verbandsgründung, die einen internationalen Wettkampfbetrieb ermöglichen würde, ist es bisher allerdings in keinem anderen Land gekommen.

Mit einer Briefmarke, die einen hondero in Aktion zeigt und in einer Auflage von 500.000 Exemplaren gedruckt wurde, ehrte die spanische Post im vergangenen Jahr das Steineschleudern. Es hat in den beiden letzten Jahrzehnten als Sport gewisse Wandlungen erlebt. Noch immer sind die Aktiven blütenreine Amateure, die zwar Pokale, Urkunden und Medaillen, jedoch nie Preisgelder entgegennehmen. Sie schleudern ihre Steine aus 35 oder 45 Schritt Entfernung auf hölzerne Zielscheiben, die in der Mitte einen metallenen Kreis haben. Für einen Treffer auf die Scheibe gibt es einen Punkt, für einen ins Zentrum vier Punkte. Das Rohmaterial, also die etwa eiergroßen Steine, sucht man vor dem Training und den Wettkämpfen nach wie vor in mühevoller Fleißarbeit in den Flussbetten.

Dass dagegen in Son Servera die Siegerin der Damenkategorie in einem kecken Minijupe zum Kampf antrat, zeigt, dass eine neue Zeit auch an den Steineschleu­derern nicht vorbeigeht. Was in anderer Form auch der 67-jährige Diego Camuñas bestätigen kann. Seit 30 Jahren stellt er aus Espartogras, Tierhaaren und vor allem aus den Fasern der Agavenblätter Schleudern her. „Diese Agavenblätter", berichtet er, „dürfen nur bei Vollmond geschnitten werden, denn die zu anderen Zeiten abgetrennten Blätter scheiden beim anschließenden Herausstreifen der Fasern eine Flüssigkeit aus, die fürchterlich auf der Haut sticht und zu nesselfieberartigen Anfällen führt." Diesen Berufssorgen ist der Flechter heute enthoben. Nicht etwa, weil der Mond an Einfluss eingebüßt hätte, sondern ganz einfach darum, weil im Zeitalter der Globalisierung die Arbeitswelten immer näher zusammenrücken. Die Agavenfasern bezieht Diego Camuñas heute sehr preisgünstig, fix und fertig vorbereitet und getrocknet – aus Manila.