Außergewöhnlich ist Mallorca für Deutsche, Schweizer und Österreicher schon lange nicht mehr. Dem tragen mittlerweile auch die Verlage Rechnung. Zu zwei schon im Frühjahr erschienenen und in dieser Zeitung bereits besprochenen Insel-­Büchern – „Gebrauchsanweisung für Mallorca" von Wolfram Bickerich und dem Einwanderer-Ratgeber „Spa­nien und Mallorca" von ­Martina Zender – sind nun noch zwei weitere, ähnlich ausgerichtete und ebenfalls von Journalisten verfasste Publikationen hinzugekommen: „Ein Jahr auf Mallorca. Reise in den Alltag" von Marie Roth sowie „Alltag auf Mallorca. Auswandern, Leben und Arbeiten auf der Baleareninsel" von Anette Anthoni.

Dahinter stecken zunächst einmal verlegerische Überlegungen: Mit der Reihe ein „Ein Jahr auf … " versucht der Herder Verlag in Aufmachung und Konzept an den Erfolg der „Gebrauchsanweisungs"-Serie im Piper-Verlag anzuschließen: feuilletonistisch-unterhaltsam wird hier mit viel Nutzwert angereichertes Wissen über Insel und Leute an Urlauber, Gelegenheitsresidenten und Auswanderer vermittelt. Dem ehemaligen „Spiegel"-Redakteur und Finca-Residenten Wolfram Bickerich und seinen pointierten Betrachtungen wird dabei mit ­Marion Müller-Roth – Marie Roth ist lediglich ein Pseudonym – eine 42-jährige freie Journalistin entgegengesetzt, die ganz anders an die Insel herangeht. In „Ein Jahr auf Mallorca" verdichtet sie in fiktiven Figuren und Szenen sieben Jahre reelle Insel­erfahrung – die Autorin lebte zwischen 2000 und 2007 fest auf Mallorca. Die stark autobiografisch gezeichnete Ich-Erzählerin ist denn auch keine Ruheständlerin, sondern eine junge deutsche Berufstätige, die sich ihren Traum vom Leben in Spanien mehr oder weniger auf der Straße erkämpfen muss. Erst tritt sie eine Arbeit bei einer deutschen Inselzeitung an, die wenig später schließt, dann hält sie sich mit Gelegenheitsjobs und Sprachunterricht über Wasser. Sie ist Single, verliebt sich in einen Spanier und lernt die verschiedenen Parallelgesellschaften der Insel kennen. Am Ende, das darf vorweggenommen werden, wird die Erzählerin hauptsächlich aus beruflichen Gründen die Flinte ins Korn werfen und – ebenso wie die Autorin – nach Deutschland zurückkehren.

Um den Erfordernissen der Reihe gerecht zu werden, wird die Handlung immer wieder von touristisch-didaktischen Episoden unterbrochen, in denen von Valldemossa und Ludwig Salvator, Gesa-Endesa und der Inselsprache Katalanisch, den Patronatsfeiern in Palma und dem Bierkönig die Rede ist. Wie im Übrigen auch Wolfram Bickerich in seinen (nicht fiktiven) Betrachtungen, greift Marie Roth dabei auf einheimische Gewährsleute zurück – eine Mallorquinerin namens Catalina, etwa, oder eine Festlandspanierin namens Lola –, denen häufig die Aufgabe zufällt, der Erzählerin die Inselbesonderheiten zu erklären. Das liest sich mitunter etwas bemüht, was schade ist, denn Marion ­Müller-Roth hat durchaus etwas erlebt und weiß es, wie das Problem der kulturellen Missverständnisse, manchmal auch sehr genau zu beschreiben: „Wenn man sich in einem anderen Kulturkreis befindet – und ­allen Zweiflern sei gesagt, dass Mallorca ein anderer Kulturkreis ist –, ist das Schwierigste, zu unterscheiden, ob man gerade einem kulturellen Missverständnis aufsitzt oder betrogen wird. Man weiß nicht, was üblich ist, kann sich auf kein Gefühl, keine Erfahrung verlassen. Ist man ein Mensch, der sich in heimatlichen Gefilden sicher bewegt, so wird man in der ­Fremde zumindest zögerlich. Ist man im eigenen Kulturkreis ein leicht unsicherer Mensch, so wird man im Ausland extrem unsicher. War man gar misstrauisch, so wird man paranoid."

Ganz ohne erzählerisches Beiwerk kommt hingegen die zweite Mallorca-Neuerscheinung aus – was auch insofern von Vorteil ist, da die Autorin Anette Anthoni eine Radiojournalistin ist, zu deren Stärken nicht unbedingt die deutsche Schriftsprache gehört. Aber darauf kommt es in dem „praktischen Ratgeber für alle Neuankömmlinge" – erschienen im Conbook Verlag, ebenfalls im Rahmen einer Reihe – auch gar nicht an. Anthoni, die selbst zwischen 2000 und 2003 auf der Insel gelebt hat, ist für die Recherchen noch einmal auf die Insel zurückgekehrt. Im Frühling dieses Jahres begab sie sich als vermeintliche Neuinsulanerin drei Monate lang auf Expedition in den mallorquinischen Behördendschungel. Von der Anmeldung im Rathaus und in der Ausländerbehörde über die Aufnahme in die Seguridad Social und die Beantragung eines Mobilfunk-Vertrages bis hin zur Anmeldung des Pkw hat sie dabei so ziemlich alles bewältigt, was zu bewältigen ist.

Vermengt mit vielen anderen Rechercheergebnissen ergibt das einen 282 Seiten starken Ratgeber, der tatsächlich kaum eine Frage zum Alltag auf Mallorca unbeantwortet lässt. Hier und da wünschte man sich noch präzisere Informationen (etwa über private Krankenversicherungsverträge oder in Spanien gestellte Rentenanträge), hier und da stimmen die Informationen nicht 100-prozentig (in Mallorcas Rathäusern kann man sicherlich nach Herzenslust zusammen mit den Angestellten über ­Gesa-Endesa herziehen, sich nicht jedoch formal über den Stromversorger beschweren), aber sei´s drum: Angesichts der häufig vertrackten Sachlage und der Fülle der zusammengetragen Informationen ist das verzeihlich. Ebenso wie der nicht ganz so ausführliche Ratgeber von Martina Zender handelt es sich um eine brauchbare Orientierungshilfe für deutschsprachige Mallorca-Residenten – zumal wenn der Verlag sein Versprechen wahrmacht und das Buch in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Damit gewappnet, bleibt eigentlich nur eines: Mallorca auf eigene Faust erkunden. Und Spanisch lernen nicht vergessen.

Lesestoff

- Marie Roth, Ein Jahr auf Mallorca. Reise in den Alltag, Herder, 2009, 12,90 Euro.

- Wolfram Bickerich, Gebrauchsanweisung für Mallorca, Piper, 2009, 12,95 Euro.

- Anette Anthoni, Alltag auf Mallorca, Auswandern, Leben und Arbeiten auf der Baleareninsel,

Conbook Verlag, 15, 95 Euro.

- Martina Zender, Der Ratgeber zum Einwandern, Leben und Arbeiten in Spanien und Mallorca,

Verlag Rat & Reise, 14,90 Euro.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem

- Die Seele der Puppen

- Backen als Kunsthandwerk: Das Brot von Tomeo

- „Esclata-sang": Der König unter den Inselpilzen