An die 15.000 Kilometer hat er mit seinem Jeep auf der Insel abgespult, schätzt Jörg Bräuer. Auf der Suche nach dem Ort, dem Moment. 15 oder 20 Mal baute er an ein- und demselben Platz, oft vor Sonnenaufgang, seine Ausrüstung auf und hoffte darauf, dass es diesmal „stimmte". Jedes Foto war ein kleines Projekt. Das Ergebnis dieser hartnäckigen Arbeit, die sich über mehr als ein Jahr hinzog – während Bräuers Zeit in s´Arracó –, ist eine Serie ungewöhnlicher Inselfotos. Mit ihnen hat der Deutsche eine Ausstellung bestritten und auch ein Buch gestaltet: „Mallorca. The nature of things".

Das Wesen der Dinge. Wonach suchte er, wenn er die Küste entlangstreifte, die Tramuntana erkundete oder Baudenkmäler besuchte, oft Orte, die schon hunderttausendfach fotografiert worden sind? „Mallorcas Küstenlandschaft ist sehr rau, und ich spiele gerne mit Kontrasten und Texturen. In dieser Hinsicht hat die Insel – wie generell auch landschaftlich und architektonisch – sehr viel zu bieten." Eine Klostermauer, der Eingangsraum einer Finca mit einem leeren Stuhl, einsame Stege, viel Wasser, viel Fels, viel Himmel. Bräuers Mallorca ist menschenleer, oder scheint so, denn „in meinen Bildern ist eine Person immer präsent: der Betrachter". Dieser bleibt unsichtbar, er hat die Position der Kamera eingenommen. Menschen selbst wollte Bräuer in seine Bilder nicht aufnehmen, „weil sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und im Betrachter unwillkürlich eine persönliche Reaktion auslösen. Ich wollte, dass der unsichtbare Betrachter ausschließlich auf die Essenz der Landschaft reagiert, so wie ich sie darstelle und zu einem bestimmten Moment erlebt habe."

Bei der Ausstellung in Brüssel, wo er seit seinem Wegzug aus Mallorca im Herbst 2009 lebt und arbeitet, wurde er mit kuriosen ­Reaktionen konfrontiert. „Viele Besucher kannten Mallorca und auch einige der abgebildeten Orte, erkannten sie aber oft nicht wieder." Natürlich habe er mit Kniffen wie einer längeren Belichtungszeit gearbeitet, die aus dem unruhigen Meer einen milchigen Spiegel macht, und die Ansichten oft verfremdet. Andererseits, sagt Bräuer, habe eben jeder Ort unendlich viele Gesichter, stelle sich je nach Tageszeit, Jahreszeit und Wetter, aber auch je nach Fotograf anders dar. „Ich möchte, dass sich der Betrachter Zeit nimmt, dass er entschleunigt und sich auf diese Anblicke einlässt."

„The nature of things" ist das erste persönliche Fotobuch des 1966 in Augsburg geborenen Fotokünstlers, der in New York und London studierte und u.a. im Jahr 2005, als er noch in Barcelona lebte, den spanischen Lux-Fotopreis gewann. Persönlich ist er ein Wandervogel. Beruflich widmete er sich kommerziellen Design- und Fotoprojekten, eines der originellsten für einen Teeshop in New York: Das Buch „Teabags & poetry" (Teebeutel und Poesie). Auf Mallorca beschloss er, sich erstmals einem umfangreichen Kunstprojekt zu widmen. Dass die Insel das Thema zahlloser Bücher ist, störte ihn nicht. „Ein Mallorca-Buch, das mich ansprach, konnte ich nirgendwo finden, also machte ich es selbst."

Den in vier Sprachen abgedruckten Essay zum Einstieg verfasste Mihai Nadin, ein auf Philosophie und Computeranwendungen spezialisierter US-Dozent. Geschossen hat Bräuer seine sehr stillen Bilder mit einer Hasselblad-Großbildkamera, die älter ist als er selbst, jedoch mit Digital-Aufsatz. Passend für einen modernen Blick auf das zeitlose Wesen der Dinge.

Buch:

„Mallorca. The nature of things", Jörg Bräuer / Mihai Nadin, Rupa Publishing, 72 S., 29,80 Euro (D), Erhältlich im Internet: www.rupapublishing.com

In der Printausgabe lesen Sie auserdem:

- Inselgeschichten: Das Rätsel unterm Schloss bellver

- Kindermenü: Unsere Kleine kreischt ins iPhone

Diese Artikel finden Sie auch hier.