Als Jesús López seinen ersten Stierkampf sah, war er zwei Jahre alt. Mit einer Videokamera hat sein Vater den Moment festgehalten. Die Aufnahmen auf der in die Jahre gekommenen VHS-Kassette zeigen einen kleinen Jungen, der wie versteinert vor dem Fernseher steht und auf die Mattscheibe starrt. Die meisten Kinder in seinem Alter hätten sich nach wenigen Sekunden wieder abgewendet, geweint und schlecht geschlafen – aber nicht Jesús.

Nach kurzer Schockstarre war er nicht mehr zu beruhigen, erinnern sich seine Eltern. Von diesem Moment an sei ihr Sohn Feuer und Flamme für den Stierkampf gewesen. Alles habe sich fortan nur noch darum gedreht. „Ich konnte nicht genug bekommen, also haben mich meine Eltern kurze Zeit später mit in eine Stierkampfarena genommen", sagt er. Heute ist Jesús López mit 21 Jahren der jüngste Stierkämpfer auf den Balearen.

Im Alter von acht Jahren startete López seine Laufbahn und tat, was ein erfolgreicher Matador tun muss: üben, üben, üben. Aber nicht nur mit Holzattrappen und verkleideten Kameraden, sondern lebendigen Stieren. Mit zehn Jahren stand er zum ersten Mal einem echten Stier gegenüber. „Angst hatte ich keine, denn ich war mir der Gefahr nicht bewusst, in die ich geraten war. Ich konnte die Situation noch gar nicht richtig einschätzen." Er habe einfach Lust gehabt, dem Tier von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Für den Zehnjährigen war es ein besonders aufregendes Spiel.

Mit dem traditionellen capote, einem von außen pinkfarbenen und von innen gelben Tuch, provozierte er das Tier, bis es auf ihn zu gerannt kam. Übrigens sind es nicht die Farben, die den Stier aggressiv machen, sondern die schnellen Bewegungen des Tuches. Stiere sind farbenblind. „Fünf Mal bin ich dem Stier damals ausgewichen. Ich war sehr zufrieden mit mir, weil es direkt so gut geklappt hat", sagt López.

Durch seinen Auftritt sind die ersten Förderer auf ihn aufmerksam geworden. Ihm wurde ein außerordentliches Talent bescheinigt, und er konnte die damals einzige Stierkampfschule Mallorcas besuchen. Die Einrichtung machte mangels Nachfrage allerdings kurze Zeit später dicht. Von den zehn Schülern verloren die meisten die Lust am Stierkampf, außer Jesús Lopez.

Neben ihm gibt es nur noch einen Profi auf den Inseln, der derzeit jedoch nicht auftritt. Mit 15 Jahren durfte er zur Stierkampfschule nach Valencia gehen. Vormittags hat er im Gymnasium Mathe, Geschichte gelernt und nachmittags, wie man mit Stieren kämpft. Das mit den Stieren machte ihm deutlich mehr Spaß.

Er will einer von den ganz großen Toreros werden. Andere seines Alters eifern Fußballlegenden wie Ronaldo, Lionel Messi oder Kaká nach. Seine Helden heißen Enrique Ponce, José Tomas und Manzanares. Doch bis zur Legende in der Arena ist es noch ein weiter Weg. Bei rund 100 öffentlichen toreos hat er schon mitgemacht.

Inklusive der Übungskämpfe kommt er auf ungefähr 500 Auftritte in der Arena. Aber noch immer ist er vor jedem Kampf aufgeregt: „Schließlich kann der Stier mich töten, wenn ich nicht aufpasse." Allerdings verschwinde die Nervosität, sobald er die Arena betrete. „Dann konzentriere ich mich nur noch auf den Stier und mache meine Arbeit." Von Routine könne allerdings keine Rede sein.

„Jeder Stierkampf hat etwas Magisches. Niemand weiß vorher, was passieren wird." Die Charaktere der Tiere sind unterschiedlich. Der Torero könne deshalb vorab auch keinen Plan entwerfen und die einzelnen Punkte dann Schritt für Schritt abhaken. „Ich muss mich anpassen, nicht der Stier." Hat der Torero seinen Gegner jedoch genügend studiert, werde der Kampf zur Kunst.

Das Künstlerische liege in den rhythmischen Bewegungen von Tier und Mensch. „Wenn der Stier das Tuch berührt und ich ihm ausweiche, kann das sehr harmonisch, sanft und weich wirken." Bei einem guten Stierkampf spüre der Zuschauer die knisternde Spannung in der Arena, sagt López. „Wenn ich kämpfe, gebe ich zudem ein Stück meiner Persönlichkeit preis", sagt der junge Torero. Sie schwinge in seinen Bewegungen mit und in der Art, wie er mit dem Tier umgehe.

Wenn López über einen Stier spricht, nennt er das Tier häufig mi compañero (mein Kollege), denn er begreife das Tier als einen Freund, mit dem er gemeinsam Kunst schaffen könne. Der Stier sei sein Partner, um dieses Ziel zu erreichen. „Der Stier ist eine außergewöhnliche Spezies, die dazu da ist, um mit uns zusammen Kunst zu machen." Dass das Tier am Ende meistens sterben muss, gehöre dazu und sei ein wichtiger Teil der Tradition. Manchmal wird ein Stier allerdings begnadigt. „Jedoch nur, wenn er außergewöhnlich gut gekämpft und den Angriffen lange standgehalten hat." Das komme aber selten vor, räumt der Torero ein.

Sein Fanclub:Seit zwei Jahren hat Jesús López einen eigenen Fanclub, dem 100 Mitglieder angehören. Die peña steht jedem offen. Als Vereinslokal fungiert die Bar Marisal 2000 in Palma, Carrer Joan d´Austria, 6. Weitere Informationen gibt es unter Tel.: 971-75 54 48.

In der Printausgabe vom 18. Februar (Nummer 511) lesen Sie außerdem:

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