Eben war er noch da, jetzt ist er schon wieder weg. Irgendwo rumpelt es. Manchmal sieht man einen ergrauten Haarschopf an Bücherreihen vorbeihuschen. Rodney Browne ist überall und nirgends. Von morgens bis abends düst er durch sein Antiquariat in Palmas Altstadt, immer auf der Jagd nach Titeln, Autoren und Verlagen.

Er findet fast immer, was seine Kunden suchen. Das Angebot ist riesig, für ihn das größte in Europa. Widerspruch zwecklos. Geschätzte 50.000 Werke habe er, über drei verwinkelte Etagen verteilt: in Regalen und Kisten, auf Stühlen und Holzböden. Wie viele es genau sind, weiß er selbst nicht mehr.

Vor drei Jahren kam Browne von England nach Mallorca – und brachte alles mit, was er in seinen vier Antiquariaten in Bournemouth gesammelt hatte. Hauptsächlich englische Bücher, aber auch Gemälde, Zeichnungen, Landkarten, Plakate sowie Post- und Autogrammkarten. Alles alt, vieles wertvoll und einiges einmalig. Drei Monate lang ließ der 66-Jährige sein Hab und Gut per Umzugswagen auf die Insel karren. Jede Woche einhundert Kisten.

Warum ausgerechnet Mallorca? „Ich wollte näher bei meiner Familie leben", sagt Rodney Browne. Von 1971 bis 1985 war er mit einer Mallorquinerin verheiratet. Zusammen haben sie eine Tochter, die mit ihrem Mann und den Kindern auf der Insel lebt. Sie haben gemeinsame Freunde. „Ich lebe vielleicht noch 15 bis 20 Jahre, die möchte ich bei ihnen verbringen."

So lange will er auch noch alte Bücher verkaufen. Es ist unklar, ob er bis dahin durchhalten kann. Die Geschäfte laufen schlecht. „Die Spanier lesen nicht mehr, und die Engländer sind pleite. Deutsche sind okay, aber am Ende kaufen doch zu wenige bei mir, um davon leben zu können."

Auch die Fluggesellschaften seien schuld an der Misere, denn sie würden den Passagieren für jedes Kilo Übergepäck horrende Zusatzgebühren abknöpfen. Dadurch sei für Touristen die Hemmschwelle größer, dicke Wälzer und alte Gemälde bei ihm zu kaufen. Selbst wenn ein Kunde die 13-bändige „The National Encyclopædia" mit nach Hause nehmen möchte, er würde sie stehen lassen, denn der Transport koste vermutlich so viel wie sein Rückflug im Billigflieger.

Auch Einheimische und Residenten strömen nicht gerade in Scharen in sein Antiquariat. „Bei den saftigen Parkgebühren ist das ja auch kein Wunder." In Krisenzeiten würden die Leute sparen, wo sie können. Auch Rodney spart, zum Beispiel an der Werbung. „Die kann ich mir nicht leisten." Bekannter wird sein Buchladen dadurch aber auch nicht.

Ein weiteres Problem, das langfristig aber auch ein Segen sein könnte: Rodney Brownes Verkaufsstrategien. Sie sind nicht gerade profitorientiert, sorgen aber für viele Stammleser. Kann sich ein Kunde die Erstausgabe eines begehrten Werkes nicht leisten, leiht es ihm Browne kurzerhand auch mal aus – kostenlos. Den Kunden freut´s. „Rodney hat eine einmalige Persönlichkeit. Es ist unglaublich, wie sehr er sich um seine Kundschaft kümmert", sagt Alexander Ordoñez, während er das „Rum Diary" von Hunter S. Thompson einpackt. Der 27-jährige Englischlehrer liest es in Ruhe zu Hause und bringt es irgendwann wieder zurück. Aus dem Antiquariat wird so eine Biblio­thek.

Rodneys beste Strategie aber ist, Geschichten zu erzählen. Wer die kleine Tür seines Bücher­universums öffnet, betritt eine Welt, in der die Zeit anscheinend stehen geblieben ist. Es beginnt eine Reise in die Vergangenheit. Zu allem, was man in die Hand nimmt, fällt ihm etwas ein. So auch zur fünfbändigen Gedichtsammlung des englischen Poeten Alfred Tennyson. Obwohl sie Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen ist, sind die gebundenen Kunstwerke in makellosem Zustand. „Sie sind noch nie aufgeschlagen worden. Wer sie kauft, wird der Erste sein", flüstert Browne.

Ein paar Bücherstapel weiter steht die massive Marmorstatue eines springenden Jaguars, „Die drei Musketiere" von Alexandre Dumas unter sich begraben. Das türkisfarbene Tier stamme aus dem Jahr 1934, wiege 20 Kilogramm und sei für einen Vorstandsvorsitzenden der gleichnamigen englischen Automarke angefertigt worden. Solche Details könnte er stundenlang vortragen – ein Stichwort genügt und sie sprudeln aus ihm heraus. Manchmal braucht er nicht mal das.

Betritt ein deutscher Kunde den Laden, zitiert er gerne Marlene Dietrich: „Sag´ mir, wo die Blumen sind." Das habe sie ihm 1963 in London beigebracht. „Wir alberten nach ihrem Auftritt herum, aber eigentlich mochte ich sie nicht besonders." Erfunden oder nicht erfunden? Ob wirklich alle seiner Geschichten stimmen? Rodney grinst. „All my lies are true", antwortet er. Und dann ist er auch schon wieder weg.

Der Weg zum Bücherparadies in der Altstadt

Das Antiquariat „Fine Books" liegt in der C/. Morey, 7, einer Seitenstraße der Plaça Santa Eulàlia. Rodney Browne kauft übrigens auch Bücher an, weitere Informationen dazu unter Tel.: 971-72 37 97 oder nottinghillbook@hotmail.com (Mo - Fr 9 - 20 Uhr, Sa 9 - 16 Uhr, So 9 - 14 Uhr).

In der Printausgabe vom 25. März (Nummer 516) lesen Sie außerdem:

- Schön hier: Kunst aus Mallorcas Strandgut

- Selbstversuch: Geduld lernen im Goldschmiedekurs

- Kindermenü: Theaterkursus im Sa Taronja

- Warenkunde Sherry: Der andalusische Allrounder

- Schöne Dinge: Die neuen Schuhmodelle der Insel

- Wellness für alle Sinne: Zwischen Sauna, Pool und Terrasse

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