Wie eine Knoblauchzehe sieht der Trieb des Eichensamens in der feuchten, schwarzen Erde aus. Er ist einer von Tausenden von Pflanzen, die in der Forstbaumschule „Viver Forestal de Menut" auf die Sonne warten, die sich heute noch hinter dem Puig Tomir versteckt. Das Anwesen liegt nahe der Straße von Lluc nach Pollença, man erkennt es am alten Wachturm.

„Es Menut", das heißt auf Katalanisch: „der Kleine". Es ist die größte Kinderstube für Pflanzen auf den Balearen. Ohne sie ließen sich die Inselwälder nicht wiederaufforsten. „Wir beliefern zum Beispiel Gemeinden, auf deren Gebiet Waldbrände oder Unwetter Schaden angerichtet haben", sagt Estanislao de Simon, Forstbeamter im Umweltministerium der Balearen. Rund 300.000 Jungpflanzen werden jedes Jahr in Es Menut gezogen.

Jeder Wald muss irgendwann auch aufgeforstet werden. Und zwar nicht nur mit Bäumen. „Man braucht dafür auch Sträucher", erklärt De Simon. Nur Artenvielfalt schütze gegen Erosion und Schädlinge.

Zudem beliefert das Gut städtische Grünzonen und Schulgärten. Und versteht sich nicht nur als Baumschule. „Wir sind ein Informationszentrum für den balearischen Wald." Rund um den alten Wachturm von Es Menut sind Schulungsräume eingerichtet worden. 2.000 Personen nahmen im vergangenen Jahr an Informationsveranstaltungen und diversen Schulungen teil.

Pflanzzeit auf den Inseln ist jedes Jahr zwischen Oktober und Februar. Dann werden von Es Menut die Jungpflanzen ausgeliefert. Da die Saison 2010/2011 abgeschlossen ist, wird derzeit neu ausgesät. Die Baumschule ist auf fünf Hektar Land untergebracht, sechs Angestellte sind hier beschäftigt. Rundherum liegen zudem 360 Hektar Terrassenlandschaft, um die sich 16 weitere Personen kümmern. Sie erlernen dabei die Berufe Mauerbauer und Gärtner, die Ausbildung finanziert das Arbeitsamt. Wenn aber ausgesät wird, helfen alle mit, auch die Azubis.

Die Samen stammen aus der in einem separaten Gebäude untergebrachten hauseigenen Samenbank „Banc de Llavors". Wie ein Labor wirkt der riesige Raum mit den weißen Wänden. Hier werden die Samen von 73 einheimischen und endemischen Pflanzen gesammelt. Aufbewahrt sind sie in etwa 300 Gefäßen. Deren Größe richtet sich nach den Samen: Die dicken Eichen- oder Wacholdersamen sind in Gläsern mit Schraubverschluss untergebracht, die winzigen Kerne in kleinen Apothekerdöschen. Anti-Feuchtigkeitsgel in Kugelform hält das Saatgut trocken.

Bevor Samen in die Sammlung aufgenommen werden, müssen sie gereinigt werden. Toni Verd, der Leiter der Baumschule, zeigt den Samen einer Pinie. „Mit diesen winzigen Flügeln fliegen die Samen aus den geöffneten Kiefernzapfen durch die Luft", sagt er. Die Pinie ist nach der Eiche der am häufigsten herangezogene Baum in Es Menut. Von beiden Arten wachsen pro Jahr jeweils etwa 100.000 Pflänzchen heran.

Für die Konservierung müssen die Samen von den transparenten Flügeln getrennt werden. Für die Reinigung stehen ebenfalls Siebe mit Geflechten verschiedener Maschengröße bereit. Kleine Samen von Sträuchern beispielsweise müssen von den trockenen Ästen abgepult werden. Eichensamen oder Olivenkerne säubert man mit Wasser, Seife oder Öl. „Chemische Mittel kommen nicht zum Einsatz", sagt De Simon.

Alle Samen werden gleich bei ihrer Ankunft registriert. Zwei Biologen arbeiten hier. Auf einem Identifikationsformular wird für die Datenbank der Pflanzenname notiert, verschiedenfarbig die Inselherkunft (Mallorca, Menorca, Ibiza, Formentera, Dragonera oder Cabrera) markiert. Dann wird der genaue Standort eingetragen „Die Herkunftsbezeichnung macht es möglich, dass wir Pflanzen aus Samen ziehen, die von dort stammen, wo aufgeforstet werden soll", sagt De Simon.

Wenn also Pinien auf Dragonera abgestorben sind und durch neue ersetzt werden, dann liefert die Baumschule Setzlinge aus Samen, die von der Dracheninsel stammen. Sie bringen die besten genetischen Anlagen mit, unter den dortigen Bedingungen zu gedeihen. „Genetische Manipulationen finden hier nicht statt", betont de Simon.

Die gereinigten Samen kommen in einen Trockenraum, hier wird ihnen die Feuchtigkeit entzogen. Mit einer Restfeuchtigkeit von

5 bis 8 Prozent können die Samen dann bei einer Temperatur von fünf Grad bis zu zehn Jahre aufbewahrt werden. Eine längere Überlebensdauer ist nicht notwendig, weil die Samen ausschließlich zur Aufzucht von Pflanzen eingesetzt werden. „Die Samenbank des Botanischen Gartens in Sóller konserviert für unbestimmte Zeit", sagt De Simon, „wir nur bis zum nächsten Pflanztermin."

Wenn alle Mitarbeiter versammelt sind, setzen diese unter einem großen Vordach an einem Tag ohne Weiteres 10.000 Piniensamen in die frische Erde. Zuvor wird die Bodenmischung mit einer Maschine vorbereitet, die Pflanzensubstrat mit Kompost mischt. Die Mixtur wird maschinell in spezielle Forst-Anzuchttöpfe verteilt. Die schwarzen Kunststoffbehälter sind etwa 15 Zentimeter hoch: „Sie haben innen Wurzelkanäle und sind unten licht- und luftdurchlässig", erklärt Verd. So wird vermieden, dass die Wurzeln in der Anwachszeit Ringe bilden. Das Ziel ist, dass die Pflanzen möglichst schnell gerade und lange Wurzeln entwickeln. Das hilft beim Überleben.

Die meisten Jungpflanzen kommen dann direkt ins Freie. „Sie sollen von Anfang an Kälte, Hitze und Wind ausgesetzt sein", sagt Verd. Mit ein paar Ausnahmen allerdings. Der Wilde Olivenbaum, der aus Olivenkernen gezogen wird, kommt erst ins Gewächshaus. Und einige Arten unter den Pflanzen, die besondere Behandlung brauchen, auch. Sie werden erst später zur Aufzuchtstation ins Freie gebracht. Hier sind zum Schutz gegen gefräßige Vögel lediglich große Netze gespannt. Hauskatzen halten das Gelände frei von Ratten und Mäusen. Im Sommer wird fleißig gegossen.

Je nach Pflanzenart, jedoch meistens nach zwei Monaten, setzt man die Setzlinge in größere Anzuchttöpfe um. Auch bei dieser Arbeit helfen wieder alle Mitarbeiter des Gutes mit. Derzeit stehen auf der Terrasse unter freiem Himmel vor allem Jungpflanzen von Straucharten wie Lavendel, Rosmarin, Zwergölbaum, Mastix und Wacholder.

Auch sehr viele Exemplare des Erdbeerbaums sind hier vertreten, der als Strauch und als Baum gedeiht. Zwei endemische Arten sind ebenfalls dabei: das Balearen-Johanniskraut und die nach Erzherzog Ludwig Salvator benannte Kreuzdornart Rhamnus ludovici-salvatoris.

Neben dem Saatgut des Wilden Olivenbaums sind in einem der beiden Gewächshäuser Raritäten wie beispielsweise der winzige Setzling einer Zwergmispel-Bodendeckerart (Cotoneaster) untergebracht. Von dieser Pflanze gibt es nur noch wenige Exemplare auf dem Puig Major. Auch ein endemischer Buxbaum (Buxus balearica), der in einer Höhe von 600 Metern in der Serra de Tramuntana und in der Serra de Levant vorkommt, oder eine Eibe (Taxus baccata) werden hier gepflegt und gehegt. An den benadelten Ästchen sind bereits die neuen Eiben zu erkennen.

Oder die Europäische Stechpalme (Ilex aquifolium), die mit ihren glänzenden grünen Blättern und den roten Winterfrüchten zu den beliebten weihnachtlichen Dekopflanzen gehört. Sie ist ein bevorzugtes Futter der wilden Ziegen und deshalb im Mittelmeerraum nahezu ausgestorben. Das soll sich jetzt ändern.

In einem zweiten Gewächshaus werden Pflanzen aufgezogen, die sich nicht zur Vermehrung durch Samen eignen. Dicht an dicht stehen hier Ableger in der Erde. „Sie werden schräg eingesetzt, damit das Licht die Triebe erreicht", sagt Verd. So wird derzeit die Silberpappel (Populus alba) gezogen, ein Baum, der bevorzugt an den Sturzbächen, torrentes, gedeiht. Auch die Feldulme wird mit Ablegern vermehrt.

„Die Feldulme (Ulmus minor) ist in weiten Teilen Europas von einem Pilz befallen", berichtet Toni Verd. Auf Mallorca halte sich das Ulmensterben in Grenzen, doch man versuche, diese Art wieder vermehrt anzupflanzen. Die Feldulme zählt zu den ältesten Bäumen des Mittelmeerraums. Gepflanzt wurde sie bereits zur Zeit der römischen Besatzung der Insel. Der Baum liefert wertvolles, rötliches Holz.

Wenn die Jungpflanzen kräftig genug sind, um ohne Hilfe weiterzuwachsen, meist nach einem Jahr, kommen sie wieder dorthin zurück, wo man vor Jahren ihre Samen eingesammelt hat. Für einen Hektar Wald werden rund 1.000 Pflanzen benötigt. Mit etwas Glück können die Bäume sehr alt werden: eine Pinie etwa 130 Jahre, die Eiche zwischen 500 und 600 und der Olivenbaum sogar 800 bis 1.000 Jahre. Eine gute Kinderstube haben sie schließlich genossen.

In der Printausgabe vom 31. März (Nummer 569) lesen Sie außerdem:

- Mit der MZ die Insel erradeln: Ganz gemütlich nach Cala Pi

- Wegweiser: Wanderung zu den Wasserfällen Salt des Freu

- Kindermenü: Rosa Rettich, lila Rüben

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