Da staunte sogar der weltgewandte und viel gereiste Mallorca-Liebhaber Erzherzog Ludwig Salvator: Im Hafen von Valldemossa beobachtete er, wie die damaligen Ordnungshüter, die carabineros, höchstpersönlich Schmugglern beim Verladen von Ware halfen und sie anschließend auf ihrem beschwerlichen Marsch durch das Tramuntana-Gebirge zu ihrem Versteck beschützten.

„Der Erzherzog wunderte sich, dass Menschen, die er für aufrichtig hielt, sich an solchen Geschäften beteiligten", berichtet der Historiker Pere Ferrer. Doch so war das jahrhundertelang auf Mallorca: Die Polizisten drückten oftmals dank Schmiergeldern beide Augen zu und die Schmuggler waren keine Verbrecher im klassischen Sinn, sondern vielmehr Unternehmer in der Grauzone, die die Bevölkerung mit dringend benötigten Lebensmitteln, Medikamenten oder später mit Luxusgütern zu günstigen Preisen versorgten.

Neben der Küste im Süden kam die Ware vor allem an schwer zugänglichen Stellen im Tramuntana-Gebirge an. Klassische Anlande­stellen waren Port d´es Canonge, die Küste von Valldemossa, der Port de Banyalbufar, sa Foradada, Font Figuera und auch der Hafen von Andratx. Die berühmteste Figur in Mallorcas Schmuggel-Geschichte ist zweifellos Juan March, der den illegalen Handel ab 1910 jahrzehntelang beherrschte. Der spätere Bankier gründete auf den illegalen Geschäften seinen späteren Reichtum.

Nach seinem Rückzug Ende der 40er Jahre teilten sich mehreren Organisationen die Schmuggelrouten auf. In der „Zeit des Mangels" nach dem Bürgerkrieg bis etwa 1953 führten sie vor allem Mehl, Zucker, Kaffee und Antibiotika ein. Später konzentrierte man sich hauptsächlich auf den begehrten hellen Tabak und Alkohol. „Man konnte aber auch bestellen, was man gerade brauchte. Radios, Nylon-Strümpfe, Spielsachen, Zement, Eisen."

Der illegale Handel war gut organisiert, es herrschte eine strenge Arbeitsteilung. Schiffe brachten die Ware bis in die Nähe der Küste, Seeleute holten sie mit kleinen Booten ab und brachten sie ans Ufer. Von dort aus schleppten die traginers die bis zu 80 Kilogramm schweren Pakete in die Nähe der Verstecke. Damit waren sie zum Teil mehrere Kilometer lang auf steilen Pfaden im Tramuntana-Gebirge unterwegs. Die sogenannten secreters brachten die Ware dann zu geheimen Orten. „Die Verstecke sollten so wenige Menschen wie möglich kennen", erklärt Pere Ferrer, der ein Buch über den Schmuggel auf Mallorca geschrieben hat.* Manchmal wurde die Ware in einer weiteren Nacht noch einmal zu einem anderen Versteck gebracht, das näher an der Straße lag, bevor die Ballen dann von Fahrern abgeholt wurden, die sie auf den Schwarzmarkt schafften. „Das waren Lastwagen oder amerikanische Autos, wie Buicks oder Cadillacs. Man entfernte die Rücksitze und deponierte dort die Ware", sagt Ferrer.

Die Polizisten ließen die Schmuggler weitgehend gewähren, mit ihrem Wohlwollen verdienten sie sich einen Extra-Lohn zu ihrem bescheidenen Verdienst dazu. Wenn sie nicht gerade schmuggelten, gingen viele der Schmuggler geregelten Beschäftigungen nach; von den Helfern waren viele einfache Landarbeiter. Welches Ausmaß der Schmuggel auf Mallorca hatte, ist schwer zu bestimmen, denn Zahlen zu der Schattenwirtschaft gibt es naturgemäß nicht. „Sicher ist aber, dass sehr, sehr viele Menschen damit beschäftigt waren. Das war ein großer Wirtschaftszweig."

Die Strafverfolgung der wenigen gefassten Schmuggler hielt sich in Grenzen. „Darauf standen maximal zwei Jahre Gefängnis, und es gab sogar die Möglichkeit, dass eine andere Person statt des Verurteilten hinter Gitter ging", berichtet Pere Ferrer.

Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre lösten sich die mallorquinischen Schmuggel-Unternehmen nach und nach auf. Die früher so laxe Verfolgung des illegalen Handels wurde nun viel ernster genommen. So wurde etwa die Guardia Civil mit besseren und schnelleren Booten ausgerüstet. „Zuvor waren ja meistens die Schmuggler schneller unterwegs als die Polizisten." Weil mehr Ware konfisziert wurde und auch das Risiko höher war, rentierte sich der Schmuggel bald nicht mehr. Ihre Erträge investierten die früheren Schmuggelbarone in Hotels, Immobilien und Grundstücke. Über die Vergangenheit alter Schmuggel-Familien und ihrer früheren Machenschaften wird auf Mallorca weitgehend Stillschweigen bewahrt. Ferrer sprach zwar für sein Buch mit mehr als 30 ehemaligen Schmugglern. Doch bis heute will keiner von ihnen offen seinen Namen nennen.

* „Contraban, República i Guerra", Edicions Documenta Balear, 2008, 22 Euro.

In der Printausgabe vom 3. März (Nummer 565) lesen Sie außerdem:

- Kindermenü: Spaniens einziges Radioprogramm für Kids

Diese Artikel finden Sie auch hier.