Einsteigen, ja – aber wie? Der Loryc hat doch gar keine Türen. „Na und?", fragt Juan Sard ein klein wenig vorwurfsvoll und schwingt sich und seine 82 Jahre über das kleine seitlich angebrachte Trittbrett, das in Form und Aussehen an einen gusseisernen Badmintonschläger erinnert, ins Wageninnere. „Früher ging das natürlich schneller", keucht er etwas außer Atem und schiebt sich auf den feuerwehrroten Beifahrersitz.

Dass hier überhaupt zwei Personen Platz haben können, scheint auf den ersten Blick unmöglich – das Cockpit ist gerade mal 1,20 Meter breit. „Einfach ideal, um sich näher zu kommen", kommentiert Sard die knapp bemessenen Lederpolster mit einem zweideutigen Augenzwinkern. Er selbst hätte in der Kiste so einige Bekanntschaften gemacht, damals in den 1950er Jahren, als dieses schicke Cabriolet bereits als lupenreiner Oldtimer galt.

Der Loryc „Torpedo" wurde 1926 in einer kleinen ehemaligen Kutschenwerkstatt an Palmas Paseo Marítimo handgefertigt, ungefähr dort, wo heute das Hotel Palas Atenea steht. Sechs Jahre zuvor hatten die beiden Unternehmer Antoni Rivas und Rafael de Lacy den Vertrieb des französischen Automobilherstellers De Dion-Bouton erworben und mit ihm die Lizenz zum Eigenbau von Fahrzeugen. Bis zum Bankrott des Unternehmens 1926 wurden in Palma – die Firma Loryc zog irgendwann vom Paseo Marítimo in die Avenida Rosselló (Avenidas) um – mehr als 115 Autos fabriziert, von denen heute gerade noch ein Dutzend existiert.

Dass die Lorycs nur eine kleine Rolle in der großen Geschichte des Automobils spielen durften, lag vor allem an der 1913 von Henry Ford in den USA erfundenen Serienproduktion. In Europa führten die namhaften Hersteller wie Citroën, Opel oder Renault das System in den Folgejahren ebenfalls ein und konnten somit Autos am laufenden Band und zu günstigeren Preisen als bis dato produzieren. Kleinere Hersteller wie eben auch die Firma Loryc in Palma, deren Fahrzeuge allesamt handgedengelte Einzelstücke waren, hatten das Nachsehen.

Der erste Besitzer des Loryc mit dem Nummernschild PM-3130 hieß Bartomeu Sureda, ein mallorquinischer Unternehmer und Abenteurer, der ein paar Jahre zuvor nach Puerto Rico ausgewandert war, dort ein kleines Vermögen verdient hatte, um es nach seiner Rückkehr auf die Insel in kürzester Zeit zu verjubeln. „Sureda war ein Freund meines Vaters, der das Leben in vollen Zügen genoss", erinnert sich Juan Sard.

Mit dem als Sportwagen konzipierten „Torpedo" – der Vierzylinder-Reihenmotor unter den beiden seitlich aufstellbaren Fronthauben brachte es trotz bescheidener 28 Pferdestärken auf eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 140 km/h – nahm Sureda noch bis 1938 an mehreren Autorennen in Barcelona, Madrid sowie auf dem legendären Rundkurs von Le Mans in Frankreich teil. „Anschließend war er so pleite, dass er einige Einzelteile des Autos wie beispielsweise die Speichenräder verkaufen musste, um über die Runden zu kommen ", erzählt Sard.

Da man ohne Reifen bekanntlich nicht mehr Auto fahren kann, wanderte der Loryc in die Garage und blieb dort rund 15 Jahre stehen. „1952 bot Sureda meinem Vater das Auto schließlich zum Kauf an. Danach habe ich es mir sofort unter den Nagel gerissen", sagt Sard und kommt dabei ins Schwärmen. „Wir wohnten zu dieser Zeit in Cala Ratjada, wo damals schon viele Deutsche ihren Urlaub verbrachten. Wenn ich mit dem Loryc durch die Straßen fuhr, kam es nicht selten vor, dass die Touristen mich anhielten, um ein Foto zu knipsen."

Ganz besonders interessierte Touristinnen wurden dabei von ihm auch schon mal auf eine kleine Spritztour eingeladen. Oder wie man heute sagen würde: Der Loryc Torpedo war eine echte Aufreißer-Karre – eine Eigenschaft, die sowohl von Sard als auch seinem Bruder hemmungslos ausgenutzt wurde.

Ende der 1950er Jahre verlor der Loryc jedoch sowohl bei seinem Eigentümer als auch den nordeuropäischen Urlauberinnen an Anziehungskraft und landete erneut in einem dunklen Schuppen. Dort wurde er rund 20 Jahre später von einem Nachbarjungen namens Jaime Canudas wiederentdeckt. „Ich war von dem Loryc so fasziniert, dass ich Sard ständig in den Ohren lag, er soll den Wagen doch wieder zum Laufen bringen."

Vor rund vier Jahren war Sard des nervenden und inzwischen erwachsenen Nachbarskinds endgültig leid, und beauftragte einen auf Oldtimer spezialisierten Mechaniker in Palma mit der Komplettrestaurierung.

Heraus kam nach drei Jahren filigraner Feinarbeit und einer „schwindelerregenden Summe an Geld" das derzeit wohl am besten erhaltene Exemplar eines Automobils, das noch heute die Herzen mallorquinischer Automobilfans drei Gänge höher schlagen lässt. Jaime Canudas hat in einem Blog die Geschichte und aufwendige Restaurierung des Loryc zusammengetragen. Zum Einsteigen für die Nachwelt sozusagen.

loryc-racing.blogspot.com

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