Es war noch vor Tagesanbruch, am 31. Mai 1550: Joan Mas, ein einfacher Bürger von Pollença, erwachte. Er hatte Geräusche von draußen gehört, von der Straße, die später seinen Namen bekommen sollte. Noch im Nachthemd öffnete er das Fenster und sah: Piraten waren in der Stadt. Mit Schild und Schwert sprang er auf die Straße und focht den ersten Zweikampf gegen den türkischen Piraten Dragut.

„Mutter Gottes aller Engel, hilf uns; Bewohner Pollenças, wehrt euch, denn die Piraten sind hier!" Joan Mas soll just diese Worte gerufen haben, bevor er mit einem Heer pollençins in Nachthemden die Piraten aus der Stadt drängte. So will es die Legende, die im Jahreskalender zeitversetzt – es muss ja auch an die Urlauber gedacht werden – an diesem 2. August wie schon seit vielen Jahren nachgespielt wird. Das Gerangel zwischen moros und cristianos ist Finale und furioser Höhepunkt des Stadtfestes von Pollença, das bereits am 26. Juli begonnen hat.

Der 2. August ist zugleich der Tag der Schutzpatronin Mare del Déu dels Àngels. „Alle pollençins, auch die, die weggezogen sind, kehren an diesem Tag wieder zurück", sagt Miquel Llobeta Vives. Auch wenn der 49-jährige Festivalleiter in diesem Jahr zum ersten Mal bei dem Spektakel Regie führt, weiß er, wovon er spricht. Er ist schon seit 30 Jahren einer der rund 1.500 cristianos, die gegen ebenso viele moros in den Kampf ziehen. Wild bemalte Piraten in bunten Gewändern und mit Holzschwertern bewaffnet treffen an der Plaça de l´Almudaina auf die „Christen". In Nachthemden und nur mit Stöcken, Ruderblättern, Arbeitsgeräten ausgerüstet – eben mit dem, was gerade zur Hand war – treten die Bewohner Pollenças auf.

Los geht´s um 19 Uhr. Es ist ein fürchterliches Gewimmel. „Der erste Aufprall ist mordsmäßig", sagt José Luis Pons Cifre. Der 50-Jährige ist seit seinem 20. Lebensjahr moro und konnte sich bei der Wahl zum „Dragut" in diesem Jahr gegen drei weitere Kandidaten durchsetzen. An der Spitze der Seinen darf er sich als Oberpirat mit Schmuck, Turban und einem riesigen Krummsäbel aus Metall aus der Stadt treiben lassen: von der Plaça de l´Almudaina die Carrer Major entlang zur Schlacht vor der Kirche Sant Jordi und weiter bis zum definitiven Sieg vor den Toren der Stadt. Dort wird Joan Mas die Fahne der moros an sich nehmen und sie in einem Triumphzug zurück in die Stadt tragen.

„Das ist alles wirklich passiert", sagt der 34-jährige Pep Cerdá Carmona. Auch er hat sich in diesem Jahr bei der Wahl zum cristiano gegen drei weitere Kandidaten durchgesetzt. Und auch er ist schon lange dabei, seit er 16 Jahre alt ist und man beim Spektakel offiziell mitmachen darf, als cristiano.

Wegen der starken Nachfrage der Hauptrollen wählen die pollencíns seit 1988 jedes Jahr, wer die zwei großen Antagonisten spielen darf. Von rund 17.000 Wahlberechtigten haben heuer immerhin 3.015 ihre Stimme für „Dragut" und „Joan Mas" abgegeben.

Und so wird an diesem 2. August wieder die ganze Stadt in Aufruhr sein. Es ist ein wenig wie Karneval. „Alle pollençins, auch Frauen und Kinder, verkleiden sich", erzählt Festivalleiter Llobeta, „seit ein paar Jahren gibt es auch Kinder, die als moros herumlaufen." Das ist zwar historisch falsch, denn die Piraten waren nicht auf Familienausflug sondern auf Raubzug unterwegs. Doch das wird die geschätzten 20.000 Feierlustigen, unter ihnen natürlich auch Nicht-Pollençiner, vermutlich nur wenig stören.