Ein weißes Spitzentuch verschleiert ihr Antlitz. Sie lächelt. Fast scheint sie zu schlafen. Und ein bisschen ist es auch so: Diese geheimnisvolle Marienfigur hat in dem Dörfchen s´Arracó, in einer Seitenkapelle der Kirche Sant Crist, einen kleinen Dornröschenschlaf gehalten.

1966 hatte die Gemeinde sie aus konservatorischen Gründen in einem Marmorsarkophag mit Glaswänden zur Ruhe gebettet. Recht passend für eine „Mare de Déu Morta", eine tote Muttergottes. Dort verstaubte die Figur und geriet fast in Vergessenheit. Bis die von Pfarrer Joan Bordoy geführte Gemeinde sich ihrer entsann und sie aus ihrem Sarkophag befreite.

„Wir wussten nicht, wie wertvoll unsere Muttergottes ist", sagt Margalida Ferrà, die zusammen mit Jaume Bover, einem weiteren aktiven Gemeindemitglied, der MZ-Redakteurin die Muttergottes vorab zeigt. Bover interessiert sich seit seiner Kindheit für die Geschichte seines Heimatortes. Er hatte auch die Idee, die Restauratorin Antònia Reig im Bistum zu Rate zu ziehen. Fotos und E-Mails gingen hin und her, bis Reig sich gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Mercè Gambús von der Balearen-Universität die Muttergottes persönlich anschaute. Die Expertinnen seien ganz aus dem Häuschen gewesen, sagen Ferrà und Bover.

„Es ist eine Arbeit von dem Renaissance-Meister Joan de Salas persönlich, nicht aus seiner ­Schule oder von seiner Werkstatt", sagt Bover. Damit stehe die schlafende Muttergottes von s´Arracó in einer Reihe mit den anderen sogenannten ­Mares de Déu Mortes der Kathedrale und der Kirche Santa Eulàlia in Palma, in Valldemossa und in Campos. Neben den Balearen ist diese Form der Marienverehrung auch noch in Valencia und auf Sardinien bekannt.

Die Entstehung der Madonna von s´Arracó wird auf die Jahre 1528 bis 1530 datiert. Der Bildhauer und Renaissance-Meister Joan de Salas war Anfang des 16. Jahrhunderts von Arago­nien nach Mallorca bestellt worden. Die schlafende Muttergottes von s´Arracó hatte Salas damals für die Zisterzienser-Abtei La Real in Palma gefertigt. In das kleine Dorf im Westen Mallorcas kam die Figur 1835, als der Mönch Joan Castell i Alemany einige Kunstwerke des Klosters vor der Säkularisierung dorthin rettete. Fortan wurde die Schlafende dort am 15. August bei der Prozession zu Maria Himmelfahrt den Gläubigen präsentiert und danach acht Tage lang unter einem Baldachin am Eingang der Kirche gebettet. Bis 1966 beschlossen wurde, die Figur zu schützen.

„Wir dachten immer, dass sie schlecht erhalten sei, aber so schlimm steht es gar nicht um sie", sagt Ferrà. Sicher, die Muttergottes brauche nach bald 500 Jahren eine Restaurierung. Doch auch nach einer ersten, nur oberflächlichen Reinigung beeindruckt sie in ihrem blauen Mantel und mit ihrem goldenen Strahlenkranz. Jetzt möchte die Gemeinde die unterbrochene Tradition zu Maria Himmelfahrt wieder aufleben lassen. Noch kann sie nicht an der Prozession teilnehmen, aber ab dem 15. August soll sie eine Woche lang auf ihrem Sarkophag aufgebahrt den Gläubigen präsentiert werden.

„Dann wollen wir sie restaurieren lassen", sagt Bover, der dafür auf öffentliche Unterstützung hofft, aber angesichts der Krisenzeiten zusätzlich noch Spenden sammeln will. Nächstes Jahr soll die restaurierte Figur dann wieder in der Prozession getragen werden. Wie immer, wenn am 15. August Maria zum Himmel fährt.

In der Printausgabe vom 11. August (Nummer 588) lesen Sie außerdem:

- Die Gute Geschichte: Projekt Bronzezeit 2.0

- eisegekühlt: Erfrischung am Sytrohhalm

- Wasserwelten: Frischer Gegenwind von Cabrera

- Kindermenú: Der spanische Türke aus Nordafrika

- Schöne Dinge: Mitbringsel, über die man sich wirklich freut

- Auszeit Mallorca: Kneten mit Norah Jones

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