Die Mittagshitze brennt. Palma wimmelt von Touristen. Sie schlendern durch die Straßen. Geschäftsleute eilen vorbei. Wie auf einem impressionistischen Gemälde flimmern die Menschen als Farbpunkte über die Plaça Major. Nur einige starre Flecke – rot, braun, schwarz, golden – passen nicht in das Bild der Geschäftigkeit.

Blutverschmiert liegt dort der Neffe von Graf Dracula im Sarg. Ein Geldschlitz am Fußende verweist auf das ungeschriebene Gesetz der lebenden Statuen: Bitte Geld geben fürs Foto. Den Mund machen der Vampir und die meisten seiner Kollegen nur ungern auf. Es würde die Illusion beschädigen.

Mit seinem Sarg zählt der Dracula-Verschnitt zu den fantasievolleren Teilnehmern dieser Open-Air-Galerie der lebenden Statuen. Mehrere Dutzend stehen in Palma rund um die Kathedrale und im Bereich der Plaça Major. In der Jaume II versuchen zum Beispiel ein „Pink Panther" und der schwammige Kinderschwarm „Sponge Bob" ihr Glück. Ihre Kostüme sind nicht selbst gemacht, sondern von der Stange: In diesen unorthodoxen Broterwerb schlittern auch manche, die mit Kreativität nichts am Hut haben.

In Palma ist das egal. Anders als in Barcelona, wo Straßenkünstler seit Neuestem erst nach einem strengen Casting für die zentrale Bummelmeile Rambla zugelassen werden, toleriert die Inselmetropole alle, vom echten Kostümkünstler bis zum aufgedonnerten Bettler. In diesem Sommer schmücken auffallend viele Mimen die Straßen, wahrscheinlich sind einige von ihnen aus Barcelona geflohen.

Hinter dem bunten Bild verbergen sich Schicksale wie jenes des bulgarischen Pärchens Dimitri und Kristin. Als Fischer mit Netz und Boot wacht er am Tor der Plaça Major, schlammig braun und still. „Vor drei Jahren habe ich als Shrek angefangen und mir dann ein Kostüm als Mann ohne Kopf gemacht", erzählt er. Doch im vergangenen Sommer gab es noch andere Kopflose. Da hat sich der 45-jährige Bulgare etwas Neues überlegt: eine Szene aus Alexander Puschkins „Märchen vom Fischer und dem Fisch" wollte er darstellen. Drei Monate lang habe er täglich an der Ausstattung gearbeitet, bevor das Märchenbild Premiere feierte.

An manchen Tagen bezirzt Dimitri gemeinsam mit seiner Gefährtin Kristin die Passanten. Die 45-jährige Bulgarin glänzt als goldene Nixe, der Fischer verteilt Bonbons. Dimitri erzählt, dass er in seiner Heimat als Ingenieur gearbeitet hat. Kristin habe am Konservatorium Klavier, Querflöte und Saxofon studiert und dann als Musikerin keinen Job gefunden.

Also sind die beiden gen Westen gezogen. Als Duo, denn auch Dimitri ist Musiker. Nach Jahren in Deutschland und Stationen in Málaga und Valencia leben sie seit drei Jahren auf der Insel. Als ihre Engagements spärlicher wurden, verwandelten sie sich in Statuen.

Ihr Doppel-Einsatz zahlt sich finanziell übrigens nicht aus, denn ganz egal, ob er allein oder mit Kristin auftritt, der Obolus der Passanten sei ungefähr derselbe – so um die 50 Euro pro Tag. Daher macht er den schweißtreibenden Job oft alleine. Kristin spielt dann auf der anderen Seite der Plaça Major Querflöte. Neben dieser Arbeit in verschiedenen Touristenzonen der Insel bleiben die beiden Musiker. Für diesen Winter, erzählt er, hat das Duo ein Engagement. In Deutschland.