Ein penetranterer Geruch ist kaum vorstellbar. Roh und leicht süßlich, aber nicht tot, dringt er in Kleider, Haare, Nase und zwischen Fingernägel und -kuppen. Er bleibt hängen, stundenlang. „So riecht halb­totes Fleisch", sagt Schlachtermeister ­Antonio Moll und zeigt auf ein erst vor wenigen Minuten gehäutetes und ausgeweidetes bräunlich-weiß geflecktes Rind, das in einem gekühlten Raum an einem Haken hängt.

Das Fleisch bewegt sich ruckartig von innen nach außen und umgekehrt. „Es zuckt noch 24 Stunden, weil die Nerven nicht sofort tot sind", fügt Moll hinzu. „Es bleibt hier einige Zeit, bis es ausgekühlt genug ist, um es in die noch kälteren Räume zu bringen."

Antonio Moll steht in einer mehrere Quadratmeter großen Blutlache. Unweit von ihm befindet sich ein Plastikbehälter mit zum Teil gehäuteten und zum Teil nicht gehäuteten Kuhköpfen, an deren Ohren noch die gelben Zettel auszumachen sind, auf denen steht, zu welcher Farm sie einmal gehörten. Die dunkelbraunen Augen der Kreaturen blicken starr ins Leere.

Ortstermin Schlachthof Palma, ein Betrieb, den es mangels Arbeit bald nicht mehr geben wird auf Mallorca. Man muss schon einige Minuten durch den Großmarkt Merca­palma vor den Toren der Stadt fahren, um zum Gebäude des Betriebes ­Carn Illa zu gelangen. Fast ein bisschen versteckt, in der hintersten Ecke des Areals, liegt er, der ­matadero (Schlachthof). Wie fast jeden Morgen werden in dem Komplex, der kurioserweise unweit einer Burgerbraterei nebst Einkaufszentrum liegt, Tiere getötet.

Am heutigen Tag sind ausschließlich Rinder dran. Keine Lämmer, Schweine oder Ferkel. Die speziell für deren kleinere Kopfgröße hergestellten Tötungsgeräte – es handelt sich um elektrische Waffen mit hoher Voltzahl, darunter auch große Zangen – hängen deswegen blank gescheuert und desinfiziert an der Wand. „Hier ist alles keimfrei", sagt Schlachtermeister Moll. „Wir reinigen jeden Tag."

Junge Männer mit Messern unterschiedlichster Länge ziehen den zuvor in Sekundenschnelle vom Leben in den Tod beförderten Rindern zunächst einmal das Fell ab und am Ende buchstäblich über die Ohren. Die Männer spulen die seit Jahren wiederholten Handbewegungen routiniert ab. So wie Fließbandarbeiter in unblutigen Industriezweigen wie etwa dem Früchte- oder Blumenverpackungsgewerbe.

Das Rinder-Fell fällt in einen Trichter, später werden unter anderem Schuhe oder Handtaschen daraus gefertigt. Nach dem Häuten stechen die Jung-Schlächter, die hier jeden Morgen bereits um 5 Uhr anfangen, blitzschnell in die rötlichen Körper hinein und schlitzen sie routiniert der Länge nach auf. Heraus quellen und fallen Innereien wie Mägen, Herzen, Drüsen. Das Blut schießt auf den Boden. Die Innereien wandern in unterschiedliche Behälter zur Weiter­verarbeitung.

„Viel verdienen die Angestellten hier nicht", sagt Schlachtermeister Moll. „Aber das ist besser als rumzulungern."

Von dem, was vom Tier übrig bleibt, geht nur wenig in den Müll. Zu den Resten, die weggeworfen werden müssen, gehört das Gras und Heu aus den Mägen. „Das kann man nicht mehr gebrauchen", sagt Schlachtermeister Moll mit einer nonchalanten Handbewegung und zeigt mit gerümpfter Nase auf einen Container. Einige Meter davon entfernt steht ein Behälter mit Innereien, einer von vielen. „Das sind Rinderhoden", sagt der Schlachtermeister. „Die kommen wie andere Organe ebenfalls in den Einzelhandel."

Der Fleischprofi arbeitet seit 37 Jahren im Schlachthof. Er war schon im Vorgängergebäude zugange, Escorxador (Katalanisch für Schlachthof), das mitten in Palma lag, bis Ende der 70er Jahre genutzt wurde und heute Kinos beherbergt. Wann auch der Betrieb auf dem Gelände von Mercapalma dichtgemacht wird, weiß er nicht. Angekündigt ist die Schließung bereits, ,„aber von einem Tag auf den anderen geht das nicht",

meint er.

„Es ist leider so, dass auf Mallorca immer weniger Kühe, Schweine und Schafe gehalten werden", sagt sein Chef Juan Sastre in seinem spartanischen Büro, das direkt neben der Verarbeitungshalle liegt, und legt seine Stirn in Falten. „Immer weniger Menschen wollen Bauern sein." Hinzu kommt, dass die Preise für das Tierfutter – Weizen, Gerste und Soja – in den vergangenen Jahren weltweit gestiegen sind. Und nicht nur das: „Die Importe beispielsweise aus Argentinien, einem der weltweit größten Fleischproduzenten, werden immer billiger."

Nach der Schließung des mit 900.000 Euro in den roten Zahlen befindlichen 60-Mann-Betriebs in Palma werden noch drei andere Schlachthöfe auf der Insel ­übrig bleiben– in Inca, Manacor und ­Felanitx. „Die reichen momentan völlig aus", sagt Juan Sastre. Sie werden von dem öffentlichen Unternehmen Serveis Millora Agrària (Semilla) gemanagt. Auch der Betrieb in Palma gehört zu einem großen Teil – 49,5 Prozent – Semilla. Weitere 26,5 Prozent der Anteile werden von der Stadtverwaltung von Palma gehalten, andere kleinere Firmen sind mit geringeren Prozentzahlen vertreten.

Mallorca ist kein guter Ort mehr, um billig Fleisch zu produzieren. 85 Prozent der Rinder kämen nicht von den Balearen, sagt Schlachthof-Chef Sastre. Bei Schweinen seien es sogar 90 Prozent. „Vor 30 Jahren war es noch sehr aufwendig, Fleisch auf Schiffen über die Ozeane zu transportieren. Heute sind die Schiffsverkehrsstrecken ja bereits regelrechte Autobahnen." Er legt die Stirn erneut in Falten. Dass das meiste Schaffleisch – immerhin 80 Prozent – von den Inseln komme, ändere nichts an der Misere der Branche, fügt Sastre hinzu. Von draußen hallt das Muhen der Rinder herein.

Einige Meter neben dem ­Büro, in der großen Halle, muhen sie nicht mehr. Die Tiere hängen tot mit den Köpfen nach unten an den Haken der riesigen Verarbeitungsanlage, die Augen geschlossen, als würden sie schlafen. Am Ende der Anlage baumeln nur noch gestempelte, verkaufsfertige Fleischhälften ohne Füße, Schwanz, Kopf, Haut und Innereien von den Haken.

„Das Töten mit den unterschiedlichen Bolzenhämmern geht immer glatt über die Bühne", sagt Schlachtermeister Moll. „Der Stromschlag ist so stark, dass die Tiere nicht leiden." Zwar stürben sie nicht sofort, aber sie seien betäubt. Rühren tue ihn das alles nicht mehr, sagt er. Nur eine Sache gehe ihm noch nahe. „Wenn man ein Ferkel tötet, dann hören sich dessen Schreien wie die eines Babys an."

In der Printausgabe vom 3. November (Nummer 600) lesen Sie außerdem:

- 50 Dinge, die man auf Mallorca gemacht haben sollte, Teil 6

- Inselgeschichten: Das einzigartige Juwel in Palmas Kathedrale

- Wasserwelten: Heimkinder aus Thüringen in der Tauchschule

- Kindermenü: Die Fußballjungs von Ciutat Jardí

- Schöne Dinge

- Wegweiser: Wanderung bei Randa

Abschlag Mallorca: Deutscher Künstler malt Golfplätze

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