Ihre leidenschaftlichen Reden schlugen die Zuhörer in den Bann. Wenn Jung-Kommunistin und Feministin Aurora Picornell Mitte der 30er-Jahre in Mallorcas Dörfern auftauchte, dann kamen die Leute in Scharen. Die am 1. Oktober 1912 in Palma im Fischerviertel Es Molinar geborene Politikerin wurde so über die Jahre zu einer Art Insel-Pasionaria. Fast andächtig wird sie von Angehörigen der Partei „Esquerra Unida", in der die Kommunisten 1986 aufgingen, mit der flammenden Rhetorikerin Dolores Ibárruri (1895-1989) verglichen.

Lange Zeit war die am 5. Januar 1937 mit nur 24 Jahren von Schergen Francos Erschossene in Vergessenheit geraten, ihrer gedacht wird erst in jüngster Zeit: Die Aufarbeitung der Geschehnisse des Bürgerkriegs kommt in Spanien nur sehr langsam voran. Eine Straße in Es Molinar erinnert schon seit einigen Jahren an sie, 2012 gab es anlässlich ihres 100. Geburtstags diverse Veranstaltungen, und Anfang Februar erscheint ein Buch mit Auszügen ihrer Reden und Artikel („Aurora Picornell, Escrits 1930-1936, Verlag Associació d´Idees).

Das gewisse Etwas

Sie muss das gewisse Etwas gehabt haben, diese Frau. Intelligent, unverdorben, gutherzig und auch noch nett anzusehen sei ­Aurora Picornell, bemerkte bereits im Jahr 1931 der Journalist Ángel Colomar, nachdem er die damals gerade 19-jährige aufstrebende Politikerin kennengelernt hatte. „Sie ist keine vergeistigte und asexuelle Intellektuelle", schrieb er in einem Text, der ebenfalls in das Buch aufgenommen wurde.

Viel mehr als dies aber ist nicht über den Charakter der aus einer stramm linken Familie stammenden Frau überliefert. Bekannt ist, dass sie noch als Teenager die Gewerkschaft der Insel-Schneiderinnen mitbegründete. Zunächst wurde sie durch wohlformulierte Artikel im Parteiorgan „Nuestra Palabra" immer populärer, dann zunehmend durch Auftritte auf Kundgebungen. Insbesondere in Felanitx und der damaligen Linken-Hochburg Calvià wusste sie die Menschen mit ihren Reden zu begeistern.

Sie legte sich sehr ins Zeug, jung und leidenschaftlich, wie sie war. Für gleiche Arbeitsbedingungen und Löhne von Männern und Frauen. Gegen das Agieren der katholischen Kirche vor allem im Erziehungsbereich. Gegen die Ausbeutung der Landarbeiter und insbesondere der Frauen unter ihnen durch die Besitzer der possessions, der mallorquinischen Landgüter. Die seit 1932 mit dem Kommunisten Heriberto Quiñones verheiratete Politikerin organisierte zudem - wie das in jener Zeit üblich war - zünftige Partei-­Fiestas mit Chören, Orchestern, Tanz und viel Spaß, um die potenziellen Wähler bei Laune zu halten. Und immer lobte die umgängliche und kontaktfreudige Aurora Picornell - wie das damals Usus war - die Sowjetunion mit salbungsvollen Worten.

Es war bekanntlich eine ganz andere, ideologisch polarisierte und aufgeheizte Zeit. Eine Zeit der extremen Ideologien und des entfesselten Hasses. Nicht nur in Spanien. Auf der einen Seite standen die Faschisten und Nationalsozialisten, die in Italien und Deutschland an der Macht waren und in Spanien „Falangisten" hießen. Auf der anderen Seite standen die Halb-Linken und ganz Linken - Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten.

Flucht ins „Haus des Volkes"

Und dann kam der große Knall, und Aurora Picornell war auf Mallorca mittendrin: Am 18. Juli 1936 erhoben sich rechtsgerichtete Militärs um den späteren Diktator Francisco Franco in Spanisch-Marokko gegen die Republik. Auf Mallorca ergriffen die Aufständischen bereits einen Tag später die Macht. Picornell flüchtete sich mit Parteifreunden ins „Haus des Volkes" in Palma, wo sie oft genug Reden geschwungen hatte. „Wir werden sehen, was passiert", ist ein Satz, den Augenzeugen von ihr gehört haben wollen.

Aurora Picornell hätte wie ­viele ihrer Parteifreunde versuchen ­können, nach Menorca zu fliehen, um sich von dort nach Frankreich zu retten. Aber sie blieb und wurde schnell verhaftet. „Sie wurde zunächst ins Provinzgefängnis gebracht und dann in das Frauengefängnis in Palma", sagt Conxa Calafat, Expertin für die Geschichte der Linksparteien auf Mallorca bei der Partei ­„Esquerra Unida".

Tod auf dem Friedhof

Auf dem Papier wurde sie am 5. Januar 1937 wieder auf freien Fuß gesetzt - vier Monate, nachdem der Luftwaffen-Leutnant im Dienst der Republik, Alberto Bayo, erfolglos versucht hatte, die Insel von Porto Cristo aus zu erobern. In Wahrheit jedoch war ihre Ermordung beschlossene Sache. Aurora Picornell musste zusammen mit drei weiteren Frauen in ein Auto steigen, das sie zum Friedhof nach Porreres brachte. Dort wurden sie dann getötet.

„Formal freilassen und dann liquidieren war eine übliche Methode unter den Falangisten, um nicht langwierige Prozesse in Kauf nehmen zu müssen", sagt Conxa Calafat. „Palmas linken Bürgermeister Emili Darder ereilte das gleiche Schicksal." Er wurde, obwohl schwer krank, auf einem Stein liegend wenige Wochen nach Aurora ­Picornell an der Friedhofsmauer der Hauptstadt erschossen.

So wie Aurora Picornell erging es fast ihrer ganzen Familie. Auch ihre Eltern sowie ihre Brüder Gabriel und Ignasi wurden von den Nationalisten ermordet. Auroras Ehemann wurde nach Ende des Bürgerkriegs in Madrid nach schweren Folterungen erschossen. Einzig ihre Schwester ­Libertad und ihr Bruder Joan überlebten die Repression.

Anders als der Insel-Pasionaria gelang der großen Pasionaria die Flucht: Dolores Ibárruri lebte Jahrzehnte in der Sowjetunion, führte von dort aus die spanischen Kommunisten, kehrte im Jahr 1977 zurück und starb im biblischen Alter von über 90 Jahren.

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