Der aus Lloret de Vistalegre stammende ­Mallorquiner Felip Munar ist der Experte für die Volkskultur der Insel schlechthin. Der Lehrer und Philologe (Katalanisch) arbeitet im balearischen Kultusministerium und ist Dozent für Kulturwissenschaft an Palmas Universität. Im MZ-Gespräch erklärt er die wichtigsten mallorquinische Weihnachtstraditionen.

Die Weihnachtszeit hat bereits am 6. Dezember mit dem Nikolaus begonnen. In Deutschland bekommen die Kinder an diesem Tag kleine Geschenke, auf Mallorca gibt es diese Figur nicht...

Nein, aber zum 6. Dezember fällt mir der bisbetot ein. Dieser ´kleine Bischof´ ist ein Junge, der als Priester gekleidet in der Christmette auftritt und eine Predigt hält. Dieses Kind wurde traditionell am 6. Dezember vom jeweiligen Pfarrer bestimmt. Nach der Predigt des bisbetot klatschen die Leute. Viele sind oft sehr bewegt, weil es rührend ist, ein unschuldiges Kind an der Stelle des Priesters zu sehen. Es ist ein Rollentausch, wie wir ihn aus dem Karneval kennen. Das hat sich aus der römischen Fest-Tradition der Saturnalien erhalten. Auch die Scherze am Día de los Inocentes am 28. Dezember haben darin ihren Ursprung (dem 1. April vergleichbar, Anm. d. Red).

Auffallend sind die vielen Krippen auf Mallorca. Woher kommt diese Tradition?

Ursprünglich vom Franziskaner-Orden. Auf Mallorca wurde mit dem Krippen-Aufstellen Mitte des 18. Jahrhunderts begonnen. Viele Familien stellen sie schon ab dem 6. oder 8. Dezember (Mariä Empfängnis) auf, nach dem Dreikönigs­tag werden sie abgeräumt. Früher konnten sich die teuren Krippenfiguren aber nur besser gestellte Familien leisten. Bei einfachen Familien auf dem Land gab es keine Krippen.

Viele Klöster haben aber ältere Krippen, die zu Weihnachten ausgestellt werden.

Ja, in den Klöstern gab es schon zuvor Krippen. Die im Hospital General in Palma stammt zum Beispiel von 1480. Und die große neapolitanische Krippe mit mehr als 1.000 Einzelteilen, die in der Stiftung Banca March ausgestellt wird, ist aus dem 18. Jahrhundert. Auch in den Klöstern der Klarissen und der Kapuzinerinnen gibt es Krippen aus dem 17. Jahrhundert. Diese Sammlungen sind sehr empfehlenswert - die Krippen in den anderen Kirchen sind aus neuerer Zeit.

Unterscheiden sich die Krippen hier von anderen in Spanien?

Jede Region stellt ihre lokalen Besonderheiten heraus. Hier sind es zum Beispiel Windmühlen. Dabei muss man auch bedenken, dass es vor 50 oder 100 Jahren noch etwas Besonderes war, es gab nicht die Bilderflut von heute. Man schätzte es viel mehr, Repräsentationen gleich welcher Art zu sehen. Zum Beispiel sind die Figuren der Krippen der Klarissen sehr ­einfach und grob, sie haben nichts Besonderes, außer 300 Jahre alt zu sein.

Eine neue Weihnachtstradi­tion auf Mallorca sind Christbäume.

Das kann man so sagen, die Tradition erfindet sich ja jeden Tag neu. Auf Mallorca gab es bis vor 30 Jahren kaum Christbäume. Jetzt haben viele Familien einen.

Haben sich auch die Rituale am Heiligen Abend ge­ändert?

Allerdings. Früher gab es keine mallorquinische Familie, die an diesem Abend groß gespeist hätte. Allenfalls trank man in der nit de nadal eine heiße Schokolade, was ein exquisites Getränk war, das man sich nicht jeden Tag leisten konnte. Bis heute wird in einigen Dörfern nach der Christmette gegen 1 Uhr nachts heiße Schokolade mit coca gereicht. Der 24. ­Dezember war ein sehr nüchterner Tag, man bereitete sich so auf das kommende wichtige Festessen am 25. Dezember vor. Das konnte dann bis zum Abend dauern und war eine bedeutsame Veranstaltung, bei der die Großeltern den Eltern wichtige Dinge erzählten und die Eltern den Kindern. Es war eine Art Zusammenfassung des Jahres, eine Übertragung des Wissens.

Was aß man?

Vor allem Spanferkel (lechona), wie auch heute noch oft. Oder Truthahn. Früher gab es auf Mallorca viel Truthahnhaltung. Vor Weihnachten wurden immer Schlachtfeste (matanzas) ab­gehalten.

Die Kirchen werden jetzt mit den ´neules´ (kunstvollen weißen Scherenschnitten) geschmückt. Was hat es damit auf sich?

Sie hatten ursprünglich die Funktion eines Kalenders, damit zählte man die Tage, die bis Weihnachten fehlten. Die kleinen standen für Tage und die großen für Wochen. Vor 500 Jahren hatte ja kaum jemand einen Kalender. Heute werden sie etwa in der Kathedrale zu Weihnachten aufgehängt.

Sie sind Experte für Sprich­wörter. Gibt es auch eines zu Weihnachten?

Ja, zum Beispiel: Per Nadal, qui res no estrena, res no val (wörtlich: Wer Weihnachten nichts einweiht, ist nichts wert). Will heißen, man soll zu Weihnachten etwas zum ersten Mal in Gebrauch nehmen.

Warum eigentlich?

Weil ein neues Jahr beginnt.

Zu Silvester trägt man in Spanien rote Unterwäsche. Woher kommt dieser Brauch?

Rot als Farbe der Leidenschaft war an den Festtagen früher verboten. Deswegen hatten schon die Menschen im Mittelalter an Dingen in Rot ihre Freude und versteckten sie. Wir machen ja immer gerne etwas, das verboten ist. Und aus diesem Grund haben wir jetzt Schaufenster voller roter Unterwäsche.

Glück bringen sollen auch die Weintrauben zu den zwölf Glockenschlägen um Mitternacht. Aber auf Mallorca gibt es noch einen anderen kuriosen Aberglauben...

Ja, Frauen, die am 25. Dezember oder am 25. Januar geboren sind, haben einen besonderen Speichel, der hilft, Hautprobleme zu heilen. Ich weiß es aus eigener Erfahrung, ich hatte eine Hand voller Warzen und hatte schon mehrere Hautärzte deswegen aufgesucht, geholfen hat mir schließlich der saliva beneïda. Nach ein paar Tagen waren alle weg.