Wenn Roberto Rueda die Signalhupe betätigt, könnte man fast vergessen, dass er nur eine Fünf-Zoll-Bahn steuert. Der Zug mag elfmal kleiner sein als das Original, doch akustisch steht er ihm nicht viel nach. Durch das geöffnete Tor des Lokschuppens, in dem es intensiv nach frischer Farbe riecht, zieht die Elektrobatterie den Zug nach draußen. Die Gleise führen auf eine Drehscheibe. Hier löst Blai Molinar einen Riegel und dreht die Plattform ein Stück weit im Kreis, bis sie auf der Höhe des richtigen Gleises einrastet. Die Lok nimmt wieder Fahrt auf - zumindest einige Meter, dann enden die Gleise an einer der vielen verbliebenen Baustellen.

Viel Zeit ist nicht mehr - noch vor den Wahlen im Mai soll nach gut zehnjähriger Planungs- und Bauphase der erste Eisenbahnpark Mallorcas eröffnet werden. „Wir werkeln in jeder freien Minute", sagt Rueda, Vorsitzender des Club Ferroviari Vaporista de Mallorca (CFVM). Fertig werden soll zumindest ein erster, 800 Meter langer Rundkurs, der über einen Teil des 25.000 Quadratmeter großen Geländes in der Gemeinde Marratxí führt.

Auch wenn noch viel zu tun ist - und noch viel mehr in weiteren Phasen nach der Eröffnung auf die Beine gestellt werden soll -, haben die zwölf Mitglieder, die den harten Kern des Clubs bilden und alles aus eigener Tasche finanzieren, schon ganze Arbeit geleistet. Da steht ein Wartehäuschen in Originalgröße, die Haltestelle heißt „Marratxinet". Der Lokschuppen beherbergt einen beachtlichen, selbstgebastelten Fuhrpark aus 25 Zügen, die derzeit größtenteils von Betttüchern bedeckt sind. Und für den 14 Meter langen Tunnel wurde eigens ein kleiner Berg aufgeschüttet.

Das Projekt soll die Besucher das Phänomen Eisenbahn in drei verschiedenen Dimensionen erleben lassen. Die kleinste ist die 5-Zoll-Bahn. „Die Waggons wiegen nur bis zu 100 Kilo", erklärt Rueda, „man kann sie leicht transportieren, etwa wenn es auf eine Messe geht." Etwas größer ist die 7-1/4-Zoll-Bahn, deren Waggons bereits 400 bis 500 Kilo auf die Waage bringen, dafür aber auch stabiler in der Spur liegen. In dieser Spurweite fährt auch die „Waldenburg", eine Nachbildung der gleichnamigen Schweizer Dampflok. Genauso wie das Original wird sie mit Kohle befeuert. Die Gleise im Park sind dank dreier parallel verlaufender Schienenstränge für beide Maße ausgelegt.

Und dann wäre da die Eisenbahn in Originalgröße, das ehrgeizigste Vorhaben. Einige wenige historische Stücke wie Kohlewaggons und Bauteile, die die Eisenbahnfreunde vor der Verschrottung retten konnten, sind bereits im Park aufgestellt. Der eigentliche Schatz ist aber eine inzwischen fast vollständig restaurierte Dampflok, die aus Ponferrada (Kastilien-León) nach Mallorca geschafft wurde und hier wieder Fahrt aufnehmen soll.

„Schauen Sie, so sah sie einmal aus", sagt Francisco Castañer. Der pensionierte Lehrer zeigt auf seinem Handy ein graffitibeschmiertes Wrack. Die inzwischen weitgehend wieder funktionstüchtige, tiefschwarz und grün glänzende Lok soll nun einen Ehrenplatz auf dem Gelände bekommen. Das Schotterbett für die Baldwin Nr. 6 von 1919, die ursprünglich in den USA hergestellt worden war, ist bereits zum Teil gelegt. Auch die Schienen­stränge - der Meter wiegt 54 Kilo - liegen bereit.

Die restaurierte Lok hat nicht zufällig dieselbe Spurweite wie die heutigen Elektrozüge von Mallorcas Eisenbahngesellschaft (SFM), die sogenannte Meterspur. Geplant ist nämlich eine Auffahrt auf die Hauptbahnstrecke Palma-Inca, die passenderweise direkt an dem Gelände vorbeiführt. Die Clubmitglieder hoffen auf ein Abkommen mit der SFM, um so Sonderfahrten mit der Dampflok auf dem regulären Schienennetz zu ermöglichen - genau so wie man das auch aus Deutschland kennt.

Mindestens alle halbe Stunde rauscht ein Zug am Gelände des Parks vorbei, manche Lokführer hupen zur Begrüßung. Man könnte fast meinen, Mallorca wäre noch immer eine Eisenbahn-Insel. Doch die Clubmitglieder ärgern sich nicht nur über die Verkehrspolitik, die dem Auto den Vorzug gibt - vom früheren Eisenbahnnetz sind nur noch die Verbindungen Palma-Inca-Manacor und Inca-Sa Pobla übrig, die Neubaustrecke nach Artà wurde gestoppt, - sondern auch über den Umgang mit dem Industrieerbe. „Es gab einmal 60 Dampfloks auf Mallorca", sagt Blai Molinar. „Erhalten ist keine einzige." Alles sei verschrottet worden, zwei Wracks wurden angeblich an der Westmole von Palmas Hafen als Auffüllmaterial verwendet. So bleibe nichts anderes, als Exemplare, die den einst auf Mallorca eingesetzten Modellen zumindest entsprechen, woanders zu suchen und auf die Insel zu schaffen.

Wenn jetzt das industrielle Erbe auf Mallorca wieder mehr Augenmerk bekommt, liegt das allein an Privatinitiative und ehrenamtlicher Arbeit. Das Gelände zwischen Bauhaus und Festival Park gehört der Gemeinde Marratxí und wurde im Rahmen einer Konzession dem Club überlassen. Da über das Grundstück ein inzwischen verlegter Sturzbach führte, darf hier wegen Überschwemmungsgefahr ohnehin kein Baugebiet ausgewiesen werden. Der Club erhält keine Subventionen und ist auf das Wohlwollen der Lokal­politiker angewiesen. Man übt sich in Diplomatie - und belässt es bei dem Hinweis, dass die jetzt anstehende Eröffnung nicht zufällig in die Zeit des Wahlkampfs fällt.

Nun drängt die Zeit, um den ersten Besuchern etwas bieten zu können. Doch zum Glück packen alle mit an, und jeder bringt sein Wissen ein - auch wenn praktisch niemand Eisenbahner von Beruf ist. „Egal, ob Bauarbeiter oder Bankangestellter, hier haben wir alle die gleiche Leidenschaft", sagt Blai Molinar, der selbst als Klempner seinen Unterhalt verdient. Er spricht vom Funktionieren der Dinge, von den Teilen, die ein Ganzes ergeben, von der urtümlichen Kraft einer Dampflok und der Kunst, sie zu fahren. „Wenn du versteht, wie sie funktioniert, werden Mensch und Maschine eins."

Frühmorgens wie spätabends wird gewerkelt. Es ist eine Leidenschaft, die keine Grenzen kennt. Da die Eisenbahnfreunde ihr ehrgeiziges Projekt ausführlich im Internet dokumentieren, sind auch schon einige deutsche Fans darauf aufmerksam geworden und haben sich vorab das Gelände in Marratxí angeschaut. „Schauen Sie, das haben sie uns als Geschenk aus Deutschland mitgebracht", sagt Castañer und packt eine etwas angestaubte Signal­lampe aus einer Kiste. Die Petroleumlampe, die einmal in Diensten der Deutschen Bundesbahn war, soll nun ebenfalls einen Platz im Park finden.

Die Mitglieder des vor 15 Jahren gegründeten Clubs sind sich sicher, dass in Zukunft zahlreiche Urlauber die neue Attraktion erkunden - so wie auch sie selbst regel­mäßig in Gruppenreisen Museen und Fachmessen in Deutschland besuchen. So einiges an Fachvokabular haben sie auf Deutsch parat, und die Bewunderung für das, was sie in Alemania an Eisenbahnkultur zu sehen bekommen haben, ist groß.

Der Eintritt in den Park soll kostenlos sein, für die Mitfahrt wird jedoch ein Unkostenbeitrag erhoben. Für Besucher dürfte es sich lohnen, in regelmäßigen Abständen wiederzukommen. So wird es wohl noch etwas dauern, bis auch die restaurierte Baldwin Nr. 6 im Park steht. Derzeit wartet die Lok im Eisenbahndepot von Son Rullán in Port d´Inca darauf, dass als letzter Handschlag der Kessel restauriert wird. Dummerweise hat der einzige Betrieb auf Mallorca, der das könnte, inzwischen dicht gemacht. Und ein Transport aufs spanische Festland käme teuer.

Ebenfalls Zukunftsmusik ist die Erweiterung um einen zweiten Rundkurs im hinteren, leicht abfälligen Teil des Geländes. Hier sollen noch einmal 800 Meter Schienenstrang hinzukommen, sodass sich zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten für die Fahrten ergeben - die Weichen lassen sich dann per Fernbedienung umstellen. „Hier wollen wir außerdem einen künstlichen See anlegen", erklärt Castañer, deutet mit dem Finger und erzählt von kleinen Dampfbooten, die dort ihre Runden drehen sollen.

Sie werden wohl noch eine Weile auf sich warten lassen. Andere Details sind bereits so gut wie fertig - aber noch nicht installiert, um Dieben keine Chance zu geben, wie Präsident Rueda sagt. „Natürlich wird es auch eine Bahnhofsuhr und eine Glocke geben."