Kurz nach Sonnenuntergang läuft Tom Eugster noch einmal zur Höchstform auf. Innerhalb von wenigen Minuten zaubert der Schweizer aus drei Handvoll Reis, einem Dutzend Champignons, zwei gehackten Zwiebeln, einem Stück Parmesan-Käse und einer halben Flasche Weißwein ein Risotto auf den Tisch, das so mancher Mailänder Küchen-Omi echte Freudentränen in die Augen getrieben hätte. Und das alles vor einem atemberaubenden Szenarium: Über uns funkelt die Milchstraße am sternenklaren Nachthimmel und nur ein paar Schritte entfernt klatscht das Mittelmeer gegen die Felsen. Der Blick schweift hinüber auf die andere Seite der Bucht von Alcúdia. Dort, im hell erleuchteten Hotel Formentor ergötzt sich vielleicht auch gerade jemand an der tollen Panorama-Aussicht. Doch sitzt der sicherlich nicht auf einem Campingstuhl vor der Schiebetür eines VW-Bullis und trinkt kaltes Dosenbier aus dem Supermarkt.

Dass wir hier in allerbester Schrebergarten-Manier an der Küste von Mal Pas bei Alcúdia hocken, haben wir Alexander Bocks zu verdanken. Seit wenigen Wochen bietet der Deutsche ein ebenso simples wie revolutionäres Touristikprodukt auf Mallorca an: Statt Pauschalurlaub im Hotel mit Animation, Zimmer­service oder All-inclusive kann man bei ihm rund 30 Jahre alte VW-Busse als rollende Ferien­unterkunft mieten.

Unser Ausflug zurück in die Blütezeit deutscher Camping-Kultur begann am frühen Samstagnachmittag auf einer Finca in der Nähe von Manacor. Dort stellte uns Bocks seine offiziell als Mietwagen deklarierten Bullis erst einmal vor. Bei allen drei Exemplaren handelt es sich um charmant restaurierte T3-Modelle mit Caravan-Vollausstattung. Für unsere Testfahrt bekamen wir „La Señora" zugewiesen, ein geräumiges beige­farbenes Modell, Baujahr 1985 mit weißem Hochdach, ausklappbarem Doppel-Bett, Gasherd, Kühlschrank und Markise. Zwei Klappstühle, ein Campingtisch, Decken, Bettzeug, Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel, Kerzen und eine Taschenlampe gehören ebenfalls zur Serien-Ausstattung der rüstigen Bulli-Dame.

Vor der Schlüssel-Übergabe gibt es erst einmal ein ausführliches Briefing. „Campen ist auf Mallorca offiziell nicht erlaubt, wird aber geduldet, solange man sich zu benehmen weiß", klärt uns Bocks als Erstes auf. Soll unter anderem heißen: keine offenen Feuer oder Barbecues - selbst auf öffentlichen Grillplätzen ist das von Mai bis Oktober strengstens verboten - und jeglichen Müll stets und ausschließlich in den dafür vorgesehenen Straßen­containern entsorgen.

Ausgewiesene Campingplätze mit Strom- und Wasseranschlüssen oder gar Fäkalienentsorgung gibt es auf der Insel nicht. Wild campen ist also angesagt. „Theoretisch kann man sich zum Übernachten überall hinstellen, doch sollte man immer schauen, dass man niemanden dabei auf die Nerven geht", so Bocks, der zusammen mit seiner Freundin vor ein paar Jahren selbst einen VW-Campingbus auf dem Festland mietete und dann auf die Idee kam, diese Art von Mietwagen auf der Insel anzubieten.

Zusammen mit den Fahrzeugpapieren überreicht er uns schließlich eine Mappe mit einer hausgemachten Bedienungsanleitung für unseren Miet-Bulli und vielen praktischen Tipps, wie etwa: „Ich bin über 2,40 Meter hoch und passe in kein Parkhaus" - sowie einer Inselkarte und zahlreichen Infos zu guten „Stellplätzen", Bars, Restaurants und Sehenswertem.

Und dann geht sie endlich los, unsere Reise zurück in die wilden 80er, als ganze Heerscharen von Familien, Hippies und Surfern zwischen Flensburg und Oberhausen in einem dieser Wolfsburger Blech-Apartments aufbrachen, um die Welt in ihrem rollenden Zuhause zu erkunden.

Auf den ersten Kilometern müssen wir uns erst einmal wieder an die Tücken längst vergangener Technik gewöhnen. Servolenkung, ABS oder Einparkhilfe suchen wir in unserem Bulli ebenso vergeblich wie Klimaanlage, Navi oder Bluetooth-Verbindung fürs Smartphone.

Die Lenkung verlangt kräftiges Zupacken. Ganz besonders gewöhnungsbedürftig ist das Rühren in der scheinbar offenen Schaltkulisse. Und der turbolose Dieselmotor im Heck lässt „La Señora" bei jeder kleinen Steigung ungefähr so flott aussehen wie ein Pack-Esel im Himalaya.

Doch genau in diesem Mangel an technischem Komfort liegt vielleicht das Konzept von „Lazy Bus", wie Bocks seine Caravan-Vermietung nennt. Was zählt ist die Einfachheit der Dinge. Motto: rollen statt rasen. Das magische Gefühl von unbegrenzter Urlaubs-Freiheit fernab von Essenszeiten im Hotel und geführten Stadtbesichtigungen entfaltet sich ­schneller als man glaubt. Bereits nach wenigen Stunden fühlt man sich mit „La Señora" so locker, heimisch und vertraut wie bei Mutti auf dem Sofa.

Den ersten Halt legen wir vor einem Supermarkt in Manacor ein, um uns mit dem nötigen Proviant für unseren Mini-Camping-Urlaub einzudecken. Danach geht es Richtung Inselnorden. Im Handschuhfach entdecken wir ein paar von Bocks bereitgestellten Musik-CDs mit passendem Soundtrack für jede Insel-Tour. „Here Comes The Sun" tönt aus den Boxen als wir in Port d´Alcúdia Richtung Alcanada abbiegen. Als wir am dortigen Strand - einem von Bocks beschriebenen Bulli-Hotspots - ankommen, ist die Überraschung groß. Die gesamte mallorquinische Camping-Community - wir zählen über 30 Wohnwagen-Mobile - parkt dort bereits am Straßenrand, mehrere Großfamilien picknicken unter den Stein­eichen am Strand. Das ist uns dann doch etwas zu viel Camping-Romantik auf einem Haufen.

Von Alcanada fahren wir zurück nach Port d´Alcúdia, um gegen Abend unser einsames Nachtquartier bei Mal Pas auf der Halbinsel La Victoria aufzuschlagen. Im Kerzenschein und bei einem Glas Weißwein überlegen wir mögliche Ausflugsziele für den nächsten Tag. Vielleicht nach Sant Elm an den Südwestzipfel Mallorcas? Oder eine Tour hinauf zu den Stauseen im Traumuntana-Gebirge? Die Auswahl ist groß. „La Señora" ist schließlich eine Alleskönnerin. Im Handumdrehen verwandelt sie sich in ein Apartment direkt am Meer, in eine Ferienhütte in den Bergen oder in eine Gartenlaube unterm Mandelbaum.

Kurz vor Mitternacht geht es in die Falle. In unserem Modell können auf der umklappbaren Rücksitzbank sehr bequem zwei Erwachsene schlafen. Familien mit Kindern sollten einen der Hochdach-Busse buchen, in denen Platz für insgesamt vier Personen ist. Praktisch: Um Schräglagen am Stellplatz auszugleichen, kann der Bulli auf kleine Plastik-­Rampen gefahren werden.

Nach dem obligatorischen Kaffee im Campingstuhl geht es am nächsten Morgen weiter an der Nordküste entlang. Wir steuern die Chill-out-Siedlung Son Serra de Marina an, wo wir mit unserem Bulli neidische Blicke von zahlreichen Surfern ernten. Am Nachmittag geht es zurück auf die Finca von Alexander Bocks.

Hier ziehen wir unser Fazit: Rund 90 Kilometer haben wir in den vergangenen 24 Stunden zurückgelegt und etwa 13 Euro Diesel verfahren. Hinzu kommen die Mietgebühren von 75 Euro pro Tag in der Hochsaison, eine einmalige Servicepauschale von 50 Euro und eine Kaution von 450 Euro in bar. Die Mindestmietdauer beträgt drei Tage. Für einen einwöchigen Bulli-Ausflug über die Insel müssen somit knapp 600 Euro kalkuliert werden, zuzüglich Verpflegung. Das geht in Ordnung.

Als etwas nachteilig empfanden wir das Fehlen einer warmen Dusche. Auch die Tatsache, dass man für die morgendliche Toilette immer erst eine Bar oder Gaststätte ansteuern muss, dürfte so manchem Camping-Neuling auf die Dauer etwas unbequem erscheinen. Bereits erfahrenere Outdoor-Urlauber schauen über solche Kleinigkeiten natürlich mit einem Lächeln hinweg.

Kontakt

Mehr Informationen zu Konditionen und Buchungen finden Sie im Internet unter www.lazy-bus.com