Wo sich einst die Schwestern zum Gebet versammelten, stehen auch heute simple Holzbänke. Und Tische. Auf beiden stapeln sich weiße Bettlaken. Dazu in einer Ecke: Getränke- und Süßigkeitenautomaten nebst geparkten Fahrrädern und Koffern. Der Raum mit der hohen Gewölbedecke und der simplen Steinrosette, durch die das Licht von der Straße fällt, wirkt ein wenig, als ob er zwischen den Welten gefangen wäre. Sich nicht entscheiden kann, ob er noch sakraler Ort der Einkehr sein will oder bereits profane Empfangshalle für Reisende aus aller Welt.

In der ersten Juniwoche hat das ehemalige Franziskaner-Kloster an der Plaça de la Verge del Miracle seine Pforten als Urban Hostel Palma geöffnet. Seither können sich Urlauber überaus günstig im Herzen von Santa Catalina einmieten. Oder Redakteurinnen in investigativer Selbstversuchsmission. Das Buchen klappt über die Website des Hostels schon mal kurzfristig und problemlos. Kategorie: 15-Bettzimmer. Kostenpunkt: 25 Euro inklusive Frühstück. Buchungs­voraussetzung: gültige Kreditkarte. Insgesamt hat das Hostel 14 Zimmer mit 60 Betten. Eine Nacht im Doppelzimmer kostet 70 Euro. Die kirchennahe Stiftung „Fundació per la Formació i la Recerca", die Sozialarbeiter weiterbildet, hat das Gebäude für 20 Jahre von der Kirche angemietet und das Gebäude entsprechend ausgebaut. Ein Aufzug macht es behindertengerecht.

Am nächsten Abend checke ich mit leichtem Gepäck und Fahrrad ein. Der Mitarbeiter braucht ein Weilchen bis er meine Reservierung findet, aber ich habe die Buchungsnummer auch nicht notiert. Ich verrate ihm nicht, warum ich hier bin. Während er sucht und nebenher die Buchung einer US-Amerikanerin prüft, parke ich mein Fahrrad in der ehemaligen Kapelle, die direkt neben dem Eingang und der Rezeption liegt. Die Automaten wirken etwas fehl am Platz, aber womöglich leide ich auch an spiritueller Gefühlsduselei.

Katholisch war ich nie und aus der evangelischen Kirche bin ich vor zwei Jahren ausgetreten. Aus Mangel an christlichem Glauben und Zugehörigkeitsgefühl, nebst Skepsis an der Institution Kirche und Steuergeiz. Trotzdem: Die Ruhein Kirchen und Klöstern mochte ich schon immer. Das erzeugt eine gewisse Erwartungshaltung für meine Nacht im Kloster, auch wenn es keines mehr ist. Konvent light quasi.

Der Mitarbeiter hat meine Reservierung gefunden, die Zahlung erfolgt flugs per EC-Karte, der Zimmerschlüssel ist auch eine Karte und das Zimmer befindet sich in der zweiten Etage. Ich widersetze mich dem nonverbalen Hinweis des Rezeptionisten, der meine Laken auf die unterste

Matratze im Tripelstockbett platziert hat, und beziehe das Bett auf der mittleren Ebene, sobald er weg ist. Die meisten Betten im Zimmer sind sowieso leer, und es ist schon 22 Uhr. Meinen Rucksack schließe ich im Metallspind ein. Der Schlafsaal hat einen Fußboden aus alten Steinfliesen, eine eigene Waschecke mit Spiegel und Terrakottabecken und direkten Zugang zur Terrasse. Außer mir ist noch ein Paar im Zimmer, ich tippe, sie sind aus Ost­europa. Mit Gewissheit kann ich das mangels entsprechender Sprachkenntnisse allerdings nicht behaupten.

Die beiden gehen, ich bin allein, zücke die Kamera und mache Fotos. Plötzlich schießt mir der Mann von der Rezeption vor die Linse. „Was machst du da? Brauchst du das auch für die Arbeit?" Ich fühle mich ertappt. Er weiß zwar nicht, dass ich mich in journalistischer Mission eingemietet habe, damit ich keine Sonderbehandlung bekomme. Aber beim Zahlen habe ich eine Rechnung verlangt „für die Arbeit". Schwester Julia, die Undercover-Nonne, redet sich vorerst raus und denkt sich: „Das mit der Wallraff-­Methode muss ich womöglich noch perfektionieren."

Dann schnappe ich mir die Kamera und schleiche durch die Flure. Die Sisal-Auslegware bohrt sich grob in meine barfüßigen Sohlen. Den Schmerz verbuche ich als seelenheilfördernde Selbstkasteiung für verweichlichte Ungläubige, ignoriere ihn und fotografiere die Computer- und Internet-Ecke, die nächtliche Bodenbeleuchtung im langgezogenen Flur (Urteil: funky!) und das ein oder andere Detail, das auf die ursprüngliche Funktion des alten Gemäuers im neuen Gewand hinweist.

Zurück im Zimmer treffe ich auf die US-Amerikanerin von vorhin. Ihr Name passt zum Klosterhostel: Angelica. Außerdem im Zimmer: Amy aus den Niederlanden und Marcus aus Kalifornien. „Wir gehen etwas essen, willst du mit?", fragt Amy. Will ich. Bevor es losgeht, kommt noch eine Polin ins Zimmer. Sie hat zwölf Stunden in einem Hotel gearbeitet, ist erschöpft und etwas verzweifelt. „Ich muss dringend eine Wohnung finden, aber ich habe keine Zeit." Auf Dauer wird eben auch das günstigste Hostel teuer.

Inzwischen ist es kurz vor Mitternacht. Ein indisches Restaurant erbarmt sich der hungrigen Mägen. Über scharfem Tikka-Hühnchen mit Koriander erfahre ich, dass Marcus ab Mitte September als Wildtier-Biologe mit Spezialgebiet Füchse und Greifvögel auf einer Insel vor San Diego arbeiten wird. Bevor er nach Mallorca kam, hat er einen Freund bei einem Schwertschmiede­kurs in England begleitet. Das Ergebnis seiner neuen Eisenverarbeitungskenntnisse zeigt er auf dem Smartphone. Ich bin beeindruckt.

Amy studiert Wirtschaftswissenschaften. Angelica unterrichtet ab Oktober in Vigo Englisch, die vergangen zwei Jahre war sie auf Reisen. In Indien wurde sie Buddhistin und Vegetarierin. Wir Klosterinsassen unterhalten uns über fernöstliche Religionen, Philosophien und Kundalini-­Yoga. „Das viele Atmen und Chanten ist nichts für mich", sagt Angelica. „Ich habe mich danach immer gut gefühlt", sagt Marcus. Ich: „Das ist das Wichtigste. Ist auch egal, ob man dafür Yoga macht oder Klavier spielt." „Alles verschiedene Wege zum selben Ziel", ergänzt Marcus. „Ich will auch mal Yoga machen", sagt Amy. Dann gehen wir zurück ins Klosterhostel und ich direkt ins Bett. Jemand schnarcht dezent. Es ist mir egal, ich schlafe sofort ein.

Als ich morgens aufwache, ist Amy frisch geduscht, trägt einen breitkrempigen Sonnenhut und fragt: „Was machst du heute?" „Arbeiten." „Oh stimmt ja - entschuldige." Ich winke grinsend ab: Oh du unbeschwerte Urlaubsjugend! Über Instantkaffee und Orangensaft plaudere ich noch mit einer Russin aus Tyumen. Eine Französin stolpert über ihre Tasche, ihre Freundin lacht so herzlich, dass ich mitlachen muss. Dann gebe ich an der Rezeption meine wahre Identität preis.

Rezeptionist Omar Cabrita lacht erstmal schallend und gibt mir dann bereitwillig Auskunft. „Wir wollten vor allem Deutsche ansprechen, deswegen sind auch viele unserer Hinweisschilder auf Deutsch" Allerdings habe sich herausgestellt, dass vor allem Brasilianer kommen. Omar Cabrita selbst kommt aus Venezuela und arbeitet mehrmals pro Woche an der Rezeption. Teilweise seien 40 bis 50 Prozent der Gäste aus Brasilien, Auch Argentinier, US-Amerikaner und Kanadier mieten sich häufig ein. Von den europäischen Gästen kämen die meisten aus Frankreich. „Die Deutschen sind ein bisschen exquisiter, die gehen offenbar eher ins Hotel als ins Hostel", sagt Omar Cabrita.

Ich hole mein Fahrrad und finde die Kapelle immer noch funktional zwiegespalten. Die Nacht im Kloster verbuche ich als investigativen All-inclusive-Ausflug in die profane und die spirituelle Welt. Im Losfahren beschließe ich: Heute meditiere ich mal wieder.

Urban Hostel, Plaça de la Verge del Miracle, 4, Tel.: 607-79 70 72, booking@urbanhostelpalma.com