Ob antike Galeeren, mittelalterliche Handelsschiffe, neuzeitliche Fischerboote, moderne Fähren, Frachter, Kriegsschiffe, Passagierdampfer oder Privat­yachten: Die Gewässer rund um die ­Balearen zählen seit Jahrtausenden zu den meistbefahrenen Seerouten im Mittelmeer. Dementsprechend hoch ist auch die Zahl der sich hier immer wieder ereignenden Schiffsunglücke.

Darüber, wie viele Boote vor den Küsten des Archipels aufgrund von Stürmen, Kriegshandlungen oder menschlicher Fahrlässigkeit in den vergangenen Jahrhunderten untergingen, lässt sich höchstens mutmaßen. „Es dürften wohl Tausende sein", schätzt Juan Poyatos.

Zusammen mit dem Historiker Fernando Menor sowie vier weiteren befreundeten Wissenschaftlern forscht der mallorquinische Taucher und Journalist seit über dreieinhalb Jahren nach diesen Wracks. Ihr Ziel: die Bestandsaufnahme einer möglichst hohen Zahl an versunkenen Schiffen, U-Booten und Flugzeugen rund um die Balearen. Allerdings mit Einschränkungen: „Sämtliche Wracks aus der Antike oder dem Mittelalter stehen in Spanien unter Denkmalschutz. Nach ihnen zu tauchen, ist strengstens verboten. Wir konzentrieren uns daher ausschließlich auf die Suche nach versunkenen Schiffen oder Flugzeugen ab Beginn des 20. Jahrhunderts. Dadurch, dass die meisten von ihnen aus Stahl gebaut wurden, sind sie besser erhalten und somit auch einfacher zu finden", erklärt Poyatos.

Bislang 35 Wracks lokalisiert

Bisher hat die Forschergruppe 35 Wracks in den Gewässern von Mallorca, Menorca und Ibiza lokalisiert. Fast alle befinden sich in einer tauchbaren Wassertiefe zwischen 20 und 50 Metern. In Zukunft will das Forschungsteam aber auch nach Wracks in Tiefen von bis zu 300 Metern Ausschau halten. „Die dafür nötige Technik wie beispielsweise ferngesteuerte Tauchroboter mit hochauflösenden Kameras hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur erheblich verbessert, sondern ist vor allem auch erschwinglicher geworden", so Poyatos.

Doch wie findet man überhaupt ein gesunkenes Boot in den scheinbar endlosen Weiten des Meeres? „Die Wracksuche ist vor allem viel Recherche-Arbeit. Wir durchforsten unter anderem Zeitungs- und Gemeindearchive nach maritimen Unglücken, um Anhaltspunkte für mögliche Koordinaten zu bekommen, an denen ein Boot oder ein Flugzeug gesunken sein könnte. Eine weitere gute und zuverlässige Informationsquelle sind die wenigen, noch übrig gebliebenen Berufs­fischer auf den Inseln, die bei ihrer Arbeit immer wieder rein zufällig auf Überreste von versunkenen Booten auf dem Meeresboden stoßen." Mit Sonargeräten wird anschließend versucht, den genauen Standort des mutmaßlichen

Wracks zu lokalisieren. Befindet es sich in einer tauchbaren Tiefe, geht es für das Forscherteam selbst unter Wasser. Liegt es tiefer, wird der Tauchroboter aktiviert. „Wir versuchen, in den Wintermonaten möglichst viele Informationen über mögliche Fundstellen zu sammeln, um im Sommer dann abzu­tauchen."

Eines der größten Schiffswracks im westlichen Mittelmeer liegt übrigens nur wenige hundert Meter von der Hafeneinfahrt von Ibiza entfernt. Es handelt sich um die 2007 gesunkene RoRo-Fähre „Don Pedro". Das über 150 Meter ­lange Frachtschiff hatte kurz nach dem Auslaufen aus bisher ungeklärter Ursache einen Felsen gerammt und war innerhalb kürzester Zeit gesunken. Von den mehr als 30 Besatzungsmitgliedern kam keiner ums Leben. Heute zählt die in einer Tiefe von 45 Metern liegende „Don Pedro" zu den beliebtesten Ausflugszielen einheimischer und ausländischer Tauchsportler. Neben der vor Ibiza gesunkenen Fähre sind lediglich noch ein Dutzend weiterer Schiffswracks rund um die ­Balearen als „gesicherter" und damit offizieller Tauchspot ausgewiesen. Juan Poyatos und sein Team hoffen jedoch, diese Zahl mit ihrer Bestandsaufnahme schon bald erhöhen zu können.

„Wir wollen mit unserer Arbeit aber vor allem Licht in die vielen, noch weitgehend dunklen Kapitel unserer Geschichte bringen", sagt Poyatos. Insbesondere das 20. Jahrhundert sei auf den ­Balearen eine Epoche der Umwälzungen, der Revolutionen und Kriege sowie von bahnbrechenden Veränderungen in der Luftfahrt, der Freizeitschifffahrt, im Tourismus und im maritimen Frachtverkehr gewesen. „Im Meer finden wir viele Spuren aus dieser Zeit in Form von beeindruckenden Wracks, so als ob der Meeresgrund ein Geschichtsbuch wäre - mysteriös und tragisch zugleich."

Mitstreiter gesucht Um sowohl die bis zu zwei Dutzend Tauchgänge pro Jahr als auch die Anschaffung weiter Ausrüstung finanzieren zu können, suchen Poyatos und sein Team derzeit nach weiteren Mitstreitern und Sponsoren. Ins Auge gefasst hat man auch die Produktion eines Dokumentarfilms über die Balearen-Wracks mit einer 3D-Kamera. „Gesunkene Schiffe üben schließlich nicht erst seit dem ?Titanic?-Film eine geradezu magische Anziehungskraft aus".