Man schrieb das Jahr 1929 auf Mallorca, als Pere Obrador Sastre in die Luft ging. Das Kreischen des kleinen Dreizylinder-Motors hinter der vorderen Propellerschraube hatte auf der kleinen Finca bei Llucmajor trotz sengender Mittagshitze bereits mehrere zu Tode erschreckte Hühner in den Stall zurückgetrieben. Auch das Pfeifen der beiden Rotorblätter über Obrador wurde immer lauter, bis der seltsame Apparat, auf dessen hinterem Ende der Mallorquiner stand, schließlich für wenige Augenblicke vom Erdboden abhob.

Den Jungfernflug des Cometagiravió beschrieb Obrador in seinen Aufzeichnungen Jahre später als „gelungenen Beweis" seiner „technischen Schöpfungskraft", auch wenn er eingestand, dass es sich bei der erreichten Flughöhe nur „um wenige Zentimeter" gehandelt habe.

Ob der vorsintflutliche Helikopter überhaupt jemals geflogen ist, lässt sich mangels Augenzeugenberichten nicht beweisen. Dass es den Cometagiravió tatsächlich gegeben hat, ist dagegen unumstritten, wie historische Fotos zeigen, ein Nachbau wurde im Jahr 1984 erstellt. Zum 50. Todestag am 8. Dezember plant die Gemeinde Llucmajor eine Reihe von Gedenkveranstaltungen, unter anderem einen literarischen Rundgang am 12. Dezember.

Pere Obrador Sastre, der in Llucmajor unter seinem Spitznamen „Pere de Son Gall" (auf Deutsch etwa „Pere vom Hühnerhof") bekannt ist, wurde am 7. Februar 1895 geboren. Als erster und einziger Sohn eines Landwirtes war sein Schicksal von Geburt an vorbestimmt. Geld für eine höhere Schulausbildung war in der Bauernfamilie nicht vorhanden.

Doch Pere, der von seinen Lehrern als „völlig verschlossenes, aber durchaus begabtes Kind" geschildert wurde, hatte weit mehr im Sinn als Kartoffeln anzubauen oder Schweine zu hüten. Schon von klein auf faszinierten ihn die physikalischen Gesetze der Mechanik, der Bewegung von Körpern und der Einwirkung von Kräften. Während seine Schulkameraden im Teenager-Alter den ersten Versuchungen des anderen Geschlechts erlagen, brütete Pere nach einem anstrengenden Arbeitstag auf dem elterlichen Hof über den Lehren von Newton und Galilei.

Nach dem ersten bemannten Motorflug der Gebrüder Wright 1907 hatte der Traum vom Fliegen auch Pere gepackt. 1917 begann er die ersten Baupläne eines Apparates zu entwerfen, der sich - im Gegensatz zu einem horizontal startenden und landenden Flugzeug - auch senkrecht vom Boden erheben sollte. Eine revolutionäre Idee, die jedoch weder bei Bekannten noch in Peres Familie auf Verständnis oder gar Begeisterung stieß. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters 1920 war er auf dem Hühnerhof Son Gall zudem unverzichtbar geworden, um das Überleben seiner Mutter und Schwester in dieser Zeit zu sichern.

Doch Pere war ein Sturkopf. So beauftragte er noch im gleichen Jahr einen in Llucmajor angesiedelten Schmied mit der Anfertigung des späteren Fahrgestells und der Rotoren. Von einem Freund lieh er sich eine der ersten Harley-Davidson-Motorräder fürs Wochenende aus, um dessen Zweizylinder-Motor auszubauen und als Triebwerk für den entstehenden Cometagiravió zweckzuentfremden. Still und heimlich bastelte und schraubte Pere in einem alten, zum Hangar umgestalteten Hühnerstall, bis der Prototyp des Urhelikopters zum Jungfernflug bereit war.

Nach der gelungenen Premiere stellte sich schnell Ernüchterung ein. Der 12-PS-Motor der Harley-Davidson war als Antriebsaggregat einfach überfordert. Für den Bau eines zweiten Modells war aber kein Geld mehr vorhanden. Also wandte sich Pere an die spanische Regierung in Madrid, um um finanzielle Unterstützung für den Helikopter zu bitten. Umsonst. Mehr als zwei Jahre lang bot der Mallorquiner seine Erfindung im Verteidigungsministerium wie Sauerbier an, schickte Pläne und Zeichnungen an Behörden und Patentämter im ganzen Land. Dort stieß er nur auf taube Ohren. In einem Antwortschreiben des spanischen Verteidigungsministeriums hieß es am Ende: „Aufgrund der Unnützlichkeit Ihrer Erfindung für die spanische Armee bitten wir darum, weitere Forderungsgesuche unverzüglichst einzustellen."

Ein Jahr später dann eine erneute Schreckensnachricht für Pere: Der Madrider Ingenieur Juan de la Cierva war mit seinem Autogiró - später als Traghubschrauber bezeichnet - vor zahlreichen Augenzeugen glatte 800 Meter geflogen. Angeblich, so behauptete der Mallorquiner bis zu seinem Lebensende, hatte de la Cierva seine Pläne kopiert.

Pere gab längst nicht auf: Überall begann er Geld zu leihen, unterschrieb Schuldscheine und verkaufte am Ende Land und Besitz, um seinen Traum doch noch verwirklicht zu sehen. Vergeblich. Am 8. Dezember im Jahr 1965 starb der Erfinder einsam und verlassen im Armenhaus der Gemeinde. Heute erinnert dort nur noch eine Straße an ihren vielleicht berühmtesten Sohn, dem vergessenen Genie vom Hühnerhof.

Der Artikel basiert auf einem erstmals 2005 in der Printausgabe veröffentlichten, für die Online-Ausgabe aktualisierten Text.