Links und rechts des breiten Wanderwegs ist alles abgegrast - von Pilz-Fans, die vor uns hier waren. Wir schlagen uns durch das lichte Unterholz des Steineichenwalds und kämpfen uns einen steinigen Hang hinauf. Es stürmt und nieselt in den Bergen von Escorca. Selbst die Mykologen stöhnten übers Wetter und die schlechte Saison, als sich die Gruppe um halb zehn auf dem Parkplatz der öffentlichen Finca Binifaldó einfand, Startpunkt für die vom balearischen Umweltinstitut (Ibanat) organisierte Pilzsuche mit Antonio Pinya und Andres Mas.

Die Saison ging im regenreichen September zwar früh los, geriet dann aber Ende Oktober ins Stocken. Pilze gedeihen gut, wenn es mild und feucht ist. In einer Trockenphase wachsen sie nur langsam, da das einzige Wasser das des Nachttaus ist. „Mit etwas Glück finden wir heute vielleicht 20 Sorten", glaubt Antonio, Koch und pensionierter Lehrer der Hotelfachschule der Balearen. „In guten Jahren sind es locker über 50." Wir Pilz-Schwärmer gucken leicht betreten. Wir sind heute Morgen extra früh aufgestanden, um rechtzeitig vor Ort zu sein und später hoffentlich mit vollen Körben Blutreizkern, Steinpilzen und anderen typischen Sorten im Kofferraum wieder nach Hause zu fahren.

Entschlossen suchen wir systematisch den Boden ab, bewegen Laub zur Seite und voilà, nach fünf Minuten landet das erste Exemplar im Korb: ein Cortinarius, von lateinisch Cortina, Schleier, der als faseriger Rest am Stiel klebt. Ein giftiges Exemplar, doch da er bereits ausgerissen ist, nimmt Antonio ihn mit. Zeit für einen kleinen Kurs in Sachen Pilzernte: Wenn man den Pilz nicht kennt, bricht man nur eine Ecke vom Hut ab. Ist der Pilz vielversprechend, dreht man ihn mit der Hand komplett aus dem Boden oder sticht ein Messer unter die Basis und hebelt ihn heraus. Antonio zeigt, wie´s geht. Die Stielbasis braucht man, um sicher die Art zu bestimmen, würde man den Pilz über dem Erdboden abtrennen, bliebe zudem eine Menge gutes Fleisch im Boden. Das Loch füllt man anschließend mit ein bisschen Erde oder Laub, damit das unterirdisch lebende Pilzgeflecht nicht austrocknet und stirbt. „Was wir als Pilze sehen, sind bloß die Früchte eines großen, im Boden verzweigten Gewächses, dem eigentlichen Pilz", so der Experte. Zur Fortpflanzung muss der Pilz die Früchte über den Erdboden strecken und seine Sporen verbreiten.

Antonio kämpft seit Jahren für Regeln zur Pilzernte. Im Gegensatz zu Ländern wie Italien, Österreich und Deutschland, wo Strafe zahlt, wer maßlos seine Körbe füllt, würde auf Mallorca nichts kontrolliert, weil die Politiker sich nicht für Pilze interessierten, so der Mallorquiner aus Sóller. Er vermittelt, wie im Wald alles mit allem zusammenhängt: „Pilze zersetzen totes organisches Material zu Humus, von dem sich die Pflanzen ernähren."

Unsere nächsten Funde sind Unterricht in Sachen vielfältiges Ökosystem. Wir entdecken unter Eicheln den ungenießbaren Flecken-Täubling (Russula maculata) mit leuchtend rötlichem Hut. Den giftigen Kohlstinkschwindling (Gymnopus brassicolens) mit ledergelbem Hut erkennt man gut am Geruch nach faulem Kohl. Noch einer mit strenger Marke ist der Flockigstielige Rettich-Fälbling (Hebeloma sinapizans), das weißliche, bitter schmeckende Fleisch ist ziemlich dick und riecht stark nach Rettich.

Wir arbeiten uns weiter im Wald vor, die Bäume wechseln jetzt, es wachsen mehr Kiefern, weniger Steineichen. Und schon treffen wir auf den Weinroten Kiefernreizker (Lactarius sanguifluus). Andres Mas ritzt die Lamellen mit dem Messer an, sofort tritt ein roter milchiger Saft heraus. Ein paar aus der Gruppe kauern bereits an einem umgestürzten Baumstamm, wo der Semmel-Stoppelpilz (Hydnum repandum) sprießt, seine gelbliche, an Semmeln erinnernde Hutfarbe gibt ihm den Namen. Er lebt mit den Bäumen in Symbiose, liefert der Pflanze Nährsalze und Wasser, hilft bei der Produktion von Hormonen und wehrt Krankheitserreger ab. Als Gegenleistung liefert der Baum ihm Zucker und Kohlehydrate aus der Fotosynthese. In der Gastronomie heißt dieser Pilz auf französisch pied de mouton, Schafsfußpilz. Nur die jungen Exemplare schmecken, die älteren sind bitter und in der Küche nicht zu gebrauchen.

Drei Stunden später, im Schulungszentrum für Umweltfragen im Ca s´Amitge in Lluc, breiten wir den Fund auf einer großen Pappe auf dem Boden aus. Antonio frohlockt: Selbst wenn die Ausbeute nicht repräsentativ für einen November auf Mallorca ist, haben wir immerhin

30 verschiedene Sorten zusammengetragen. Mit dem Pilzführer „Guia de bolets d´alzinar" von Joan Carles Salom (s. Interview) und Josep Siquier in der Hand, versuchen wir Laien uns an der Bestimmung.

„Ante la duda basura!", schärft uns Antonio ein, im Zweifel lieber in den Mülleimer. Es sind ziemlich viele giftige, wenngleich optisch schöne Exemplare darunter, wie der Pantherpilz (Amanita pantherina), dessen braune Hüte mit weißen Flocken besetzt sind, oder die Sparrige Koralle (Ramaria decurrens) mit ihren strauchartig verzweigten Fruchtkörpern, die aussehen wie Korallen.

Leider gibt es keinen einzigen schwarzhütigen Steinpilz (Boletus aereus), für viele Köche der beste Speisepilz, dafür darf jeder einen Steineichenraufuß (Leccinum lepidum) mit nach Hause nehmen. Jawohl, einen. Kostbar. Köstlich.

Antonio nimmt ihn in die Hand, entfernt die Lamellen - sie nehmen dem Pilz Geschmack - schneidet das harte untere Drittel des gelblichen Stiels ab und den rotbraunen Hut in feine Streifen. Wir sollen das nussig, intensive Aroma kosten. „Das harte Stück vom Stiel benutzt ihr als falschen Trüffel", erklärt der passionierte Koch. Man reibt ihn über Pasta, und klein geschnitten oder zermahlen schenkt er Saucen sein volles Aroma.

Checkpoint Pilz

Die Mitarbeiter im Museo Balear de Ciencias Naturales in Sóller bestimmen kostenlos Pilze.

Carretera Palma - Port Sóller, km 30, Tel.: 971-63 40 64, www.museucienciesnaturals.org

Pilz-Infos online: www.fungibalear.net

29.11.: „Fira de l’Esclata Sang", jährliche Pilzmesse in Mancor de la Vall.